Читать книгу Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie – Studienausgabe. Herausgegeben und ergänzt um Aufsätze, Primärbibliographie und Nachwort von Matthias Bormuth und Martin Vialon онлайн

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Wenn man an die bekannten allegorischen Dichtungen der Spätantike und des Mittelalters denkt, an die Werke von ClaudianClaudian etwa oder PrudentiusPrudentius, von Alain de LilleAlain de Lille oder Jean de MeunJean de Meun, so ist freilich wenig Gemeinsames zwischen ihnen und der Biographie des Franciscus in der Komödie. Jene Werke bieten ganze Armeen von allegorischen Gestalten auf, beschreiben ihre Gestalt, ihre Kleidung, ihre Wohnung, lassen sie miteinander disputieren und kämpfen. Übrigens kommt auch paupertaspaupertas bei einigen von ihnen vor, aber als Laster oder Begleiterin des Lasters. DanteDante bringt hier nur eine einzige allegorische Gestalt, eben die Armut, und verbindet sie mit einer historischen, das heißt konkret wirklichen Persönlichkeit. Das ist etwas ganz anderes; er zieht die AllegorieAllegorie ins Aktuelle, er verbindet sie eng mit dem Geschichtlichen. Dies ist zwar nicht DantesDante Erfindung, es wurde ihm, mit dem ganzen Motiv, von der franziskanischen Tradition überliefert; von Anfang an erscheint in ihr die Hochzeit mit der Armut als Figur der Tätigkeit des Heiligen. Bald nach seinem Tode schon wurde ein Traktat mit dem Titel Sacrum Commercium Beati Francisci cum Domina Paupertate1 geschrieben, und Anklänge an das Motiv finden sich fortwährend, etwa auch in den Gedichten Jacopone da TodisJacopone da TodiJacopone da Todi. Aber es wird kaum konsequent durchgeführt, sondern löst sich auf in viele didaktische oder anekdotische Einzelheiten; nie wird es für eine konkrete Lebensdarstellung festgehalten. Das Sacrum Commercium enthält überhaupt nichts Biographisches, sondern ist im wesentlichen eine lehrhafte Schrift, in der die Armut eine lange Rede hält. Die Darstellung in der Unterkirche in Assisi, die früher meist GiottoGiotto zugeschrieben wurde, zeigt die Hochzeit ebenfalls jenseits aller konkreten Biographie: Christus gibt den Heiligen mit der hageren und alten, in Lumpen gehüllten Armut zusammen, während zu beiden Seiten mehrere Schichten von Engelchören an der Feier teilnehmen. Mit dem praktischen Leben des Heiligen hat das nicht unmittelbar zu tun – dieses wird in einem anderen Zyklus von Bildern dargestellt. DanteDante hingegen bringt beides in einem; mit der Hochzeitsfeier vereinigt er jene eindrucksvolle, ja sogar grelle Szene auf dem Markt in AssisiFranz v. Assisi, wo Franz öffentlich auf das Erbteil des Vaters verzichtet und diesem sogar seine Kleider zurückgibt. Verzicht auf Erbteil und Entkleidung, die sonst überall als eigentlicher Gegenstand der Darstellung hervortreten, werden bei DanteDante nicht ausdrücklich erwähnt; sie werden in die allegorische Hochzeit einbezogen; um einer Frau willen sagt sich hier Franciscus von seinem Vater los; einer Frau, die keiner haben will, die von allen wie der Tod gemieden wird; vor den Augen aller, vor den Augen des Bischofs, vor den Augen des Vaters tut er sich mit ihr zusammen. Hier wird zugleich das Besondere wie das Bedeutend-Allgemeine des Vorgangs greller hervorgehoben, als es durch den bloßen Verzicht auf etwas auszudrücken gewesen wäre: nicht weil er etwas nicht besitzen will, sondern weil er etwas anderes begehrt und zu besitzen trachtet, verwirft er die väterlichen Güter und sagt sich vom Vater los; er tut es um einer Liebe, um einer Begierde willen, die unwillkürlich die Erinnerung an andere ähnliche Vorgänge wachruft, wo junge Männer um schlechter Weiber willen, die ihre Begierden entzündet haben, ihre Familie verlassen. Schamlos gleichsam, vor aller Augen, tut sich Franciscus mit einem Weibe zusammen, das von allen verachtet wird, und die Erinnerung an schlechte Weiber wird, wie wir gleich genauer sehen werden, durch die weitere Ausmalung immer wieder geweckt. Es ist also eine seltsame, nach gewöhnlichen Begriffen abstoßende Hochzeit, eine häßliche Feier, die sich hier vollzieht, verbunden mit Streit wider den eigenen Vater, öffentlich, grell und eben dadurch noch bedeutsamer als die Rückgabe der Kleider, die ja nicht sogleich jene Gedanken an Verworfenheit und Heiligkeit heraufbeschwört wie die Ehe mit einem verachteten Weibe. Und hier erwacht die Erinnerung an einen anderen, der früher einmal solche Hochzeit feierte; der sich auch mit einem verachteten, verlassenen Weibe, der armen, verstoßenen Menschheit, der Tochter Zion, vermählte; der auch freiwillig sein Erbteil aufgab, um seiner Liebe zu der verstoßenen zu folgen. Die Vorstellung, daß Franz von AssisiFranz v. Assisi in seinem Leben und seinem Schicksal gewisse Übereinstimmungen mit dem Leben Christi zeigt, also das Motiv der Nachfolge oder Konformität, ist von der franziskanischen Überlieferung immer mit Liebe gepflegt warden. Die Biographie Bonaventuras läßt sich von diesem Gedanken leiten, und er hat auch in der Malerei seinen Ausdruck gefunden, zuerst in der Unterkirche von Assisi, wo fünf Darstellungen aus dem Leben Christi fünf entsprechenden aus dem Leben des Franciscus gegenübergestellt sind. Die Konformität wird auch in vielen Einzelheiten gefunden, etwa in der Zahl der Jünger, dem gemeinsamen Leben mit ihnen, den verschiedenen Wundertaten und vor allem in der Stigmatisation. DanteDante hat das Motiv in seinen Einzelzügen nicht verfolgt, bringt er doch überhaupt keine Einzelzüge; aber er hat es in der mystischen Hochzeit bewußt herausgearbeitet: also nicht in den einzelnen Zügen, sondern im Ganzen und Grundsätzlichen; freilich auf eine Weise, die dem mittelalterlichen Leser unmittelbarer einleuchtet als dem heutigen.

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