Читать книгу Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie – Studienausgabe. Herausgegeben und ergänzt um Aufsätze, Primärbibliographie und Nachwort von Matthias Bormuth und Martin Vialon онлайн

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Nicht genug damit. Die Biographie, die Thomas gibt, enthält von all den bezaubernden und so überaus konkreten Einzelzügen, die die franziskanische Legende aufbewahrt hat, nur sehr wenig. Zwar das Hauptsächlichste, Geburt, Aufbau des Werkes und Tod sind der Überlieferung gemäß erzählt, aber nichts einzelnes, das zur anekdotischen Belebung dienen könnte; und auch das Hauptsächliche nur gleichsam aktenmäßig, in chronologischer Reihenfolge: Geburt, Armutsgelübde, Gründung des Ordens, Bestätigung durch den Papst InnocenzInnocenz (Papst), zweite Bestätigung durch Honorius, Missionsfahrt, Wundmale, Tod. Die Wandmalereien in Assisi erzählen viel mehr, und sie erzählen weit bunter, anekdotischer – von den verschiedenen literarischen Fassungen der Legende ganz zu schweigen. Und noch etwas kommt hinzu: bei DanteDante hat die Biographie außer dem äußeren Rahmen des Kommentars, dessen Teil sie ist, auch ein inneres Leitmotiv, und zwar ein allegorisches. Das Leben Franzens wird dargestellt als Ehe mit einer allegorischen Frauengestalt, der Armut. Wir wissen zwar, daß dies ein Motiv der franziskanischen Legende war; aber war es notwendig, dies Motiv zum beherrschenden zu machen? Wir haben, soweit wir Spezialisten für mittelalterliche Kunst oder Literatur sind, allmählich und etwas mühsam gelernt, daß die AllegorieAllegorie für bestimmte Gruppen mittelalterlicher Geistigkeit etwas anderes, Wirklicheres bedeutete als für uns – daß man in der Allegorie eine Konkretisierung des Gedankens sah, eine Bereicherung der Möglichkeiten, ihn auszudrücken. Aber das hat einen ihrer eifrigsten und verständnisvollsten Neuentdecker, HuizingaHuizinga, J., nicht gehindert, sie doch etwas abschätzig «die Wucherpflanze aus dem Treibhaus der Spätantike» zu nennen. Bei aller Erkenntnis ihrer Bedeutung können wir das Dichterische an ihr nicht mehr spontan fühlen. Und doch gibt uns DanteDante, der so viele Menschen unmittelbar reden läßt, die lebendigste Gestalt der ihm vorausgehenden Epoche, Franz von AssisiFranz v. Assisi, im Gewand eines allegorischen Berichtes. Was fast jeder spätere Dichter getan hätte, und was er selbst so oft tat, worin er der erste Meister war, nämlich den Menschen selbst in Wort und Gebärde aufs Konkreteste und Persönlichste zu gestalten, das tut er hier nicht. Der Kirchenlehrer Thomas berichtet von der Hochzeit des Heiligen mit der Frau Armut, damit DanteDante versteht, was es bedeutet, daß man in der Herde des DominicusDominicus, Hl. gute Weide findet, wenn man nicht abirrt.

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