Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн

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Vollends der Volksgesang! Wo er irgend sich rein erhalten hat, da tritt die Nachahmung der Handlung, die Erzählung des Vorganges völlig zurück, ja sie wird fast verflüchtigt zu Gunsten des Sanges- und Liedzweckes, die ganz und gar nach einer einzigen Richtung hin bewegten Gemütskräfte auf das eindringlichste darzustellen. Die wirkliche epische Erzählung hat außer dem Interesse der Handlung selbst noch hundert anderen Forderungen zu genügen: alle wichtigen näheren Umstände müssen gekannt werden, der Schauplatz soll lebhaft vors Auge gebracht werden, die Motive, aus denen die Taten nicht allein der Hauptpersonen, sondern auch der mittelbar Beteiligten entstehen, verlangen mehr oder minder eingehenden, charakterisierenden Bericht. Hier wird breiter Fluss und Vollständigkeit der Erzählung erfordert und das sich unabweisbar herzudrängende dekorative Element nimmt einen großen Raum ein; wo immer der Volksgesang durch die Kunstpoesie verfälscht oder gar ganz verdrängt ist, sind dies die Kennzeichen der Entartung. Dagegen dort an Stelle der Vollständigkeit der Handlung die sprung- und lückenhafteste Skizze des Verlaufs, anstatt sorgfältiger psychologischer Charakteristik die schroffste Einseitigkeit und die grellste Betonung immer nur des einzigen Motivs und zwar bis zu einem Grade der Herbigkeit und äußerster Übertreibung, welcher in der Erzählung, und mag sie immerhin das Reich des Wunderbaren umschließen, niemals ertragen wird, weil dadurch das Interesse und damit ihr Zweck vernichtet würde, sondern der einzig und allein als ein Mittel die Stimmungsgewalt nachzuahmen verstanden und ertragen werden kann. Endlich die Dekorationsmalerei, worin die Kunstballade luxuriert, kennt die Volksballade gar nicht.

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