Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн

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Dass hier allenthalben die Handlung nur einem höheren Zwecke dient und nirgends um ihrer selbst willen erzählt wird, bedarf keines Beweises; wie ist aber das Verhältnis bei der Ballade, die, auf der Grenze der Epik und Lyrik stehend, der Handlung gar nicht entraten kann? Die Untersuchung dieses Verhältnisses muss für die Grenzbestimmung der beiden Gebiete sehr förderlich sein.

Wie oben festgestellt, sind die als Mittel der Nachahmung von Handlungen angewandten "Folgen von Veränderungen" keineswegs auch immer Nachahmungen von Handlungen selbst; für diese ist das geistige Moment der produzierenden Entschließung allein maßgebend, welches den Namen der Tätigkeit weit eigentlicher verdient als das äußere Tun. Es kann jemand eine zusammenhängende, eine Einheit bildende Gruppe von Veränderungen, also eine äußere Handlung bewirken, ganz ohne den Prozess des eigentlichen Handelns, den inneren Willensakt, in sich erfahren zu haben; umgekehrt kann die höchste Tätigkeit sich ohne alle Veränderungen in der Körperwelt, etwa durch ein einziges Wort, vollziehen. Gerade solche Handlungen aber, gleichviel ob sie in einem Moment oder in einer beliebig langen Reihe von Veränderungen sich vollziehen, sind erforderlich, wenn sie um ihrer selbst willen der Gegenstand der künstlerischen Nachahmung werden sollen; im andern Falle sind sie nur Mittel derselben. Denn jene bringen durch ihr Bild unmittelbar die Seele des Wahrnehmenden in dieselbe Bewegung, welcher sie selbst entstammen, während diese zunächst nur ein buntes Vorstellungsmaterial zu erzeugen vermögen, welches erst durch die Kunst die Kraft erlangt, verwandte psychische Bewegungen mittelbar nachahmend zu bewirken; jene sind entschieden epischen Charakters, diese ein Hauptmittel der lyrischen Dichtung. Es sind Fälle denkbar, wo die Grenze zwischen beiden fast unkenntlich wird, in der weit überwiegenden Mehrheit der Fälle aber werden sie scharf voneinander zu unterscheiden sein.

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