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Zugleich zeigt dieses Gedicht am deutlichsten den volksmäßigen Gang der alten Poesie. Es ist organisch aus einer allmählichen Gruppierung der einzelnen Heldenlieder, wie sie damals noch von Mund zu Mund gingen und von denen neuerdings Lachmann zwanzig entdeckt und bekanntgemacht hat, wie ein Strom aus seinen Waldquellen entstanden und wahrscheinlich erst zu Anfang des 13. Jahrhunderts von einem unbekannten Meister in seine gegenwärtige Fassung gebracht worden. Leider ist dasselbe auch in dieser Fassung, ohne philologische Vorbereitung, noch immer eine Art Runenschrift und daher dem größeren Publikum unzugänglich. Simrock hat in seiner noch unübertroffenen Übersetzung die schwierige Aufgabe gelöst, das große Freskobild, wo es im Verlauf der Jahrhunderte nachgedunkelt, für unser verwöhntes Auge wahrhaft künstlerisch zu restaurieren, ohne die eigentümlich nationalen Grundzüge zu verwischen.

Bei weitem näher schon steht unserer christlichen Anschauungsweise das Lied von Gudrun, welches Kaiser Maximilian I. in einer Abschrift auf Schloß Ambras der Nachwelt aufbewahrt hat. Was im Nibelungenliede kaum nebenher erst angedeutet ist, wird hier zur Hauptsache. Das christliche Element, das wir dort nur in einzelnen Morgenblitzen erkannten, hat hier bereits über Freud und Leid seinen milden Glanz verbreitet; vor allem durch die ganz veränderte Auffassung des Frauencharakters, der hier die wildschöne Waffenpracht abgelegt hat und zum erstenmal in rührender Demut strahlt. Gudrun ist mit dem Könige Herwig verlobt, wird aber von dem Normannenkönig Hartmut entführt und in der Fremde, weil sie in unwandelbarer Treue dem Räuber ihre Hand verweigert, von dessen Mutter Gerlinde als Magd gehalten und schimpflich mißhandelt. Demungeachtet sucht sie, als sie dann endlich durch ihren Verlobten mit Hülfe ihres Bruders wieder befreit wird, großmütig die Ermordung der bösen Gerlinde auf alle Weise zu verhindern; und ihr Bruder Ortwin, obgleich er sie unbewacht am Meeresstrande gefunden und sofort auf seinem Schiffe zurückführen könnte, sagt ritterlich: »Was mir im Sturm des Kriegs ist abgenommen worden, das will ich heimlich nicht entwenden, und eh ich heimlich stehle, was ich mit Waffenkampf erringen muß, eher mögen, hätte ich hundert Schwestern, sie hier alle sterben!« – Der wunderbare Gesang, womit im Eingange um Gudruns Mutter geworben wird, so wie Gudruns Heimweh am Seegestade des Normannenlandes, giebt fühlbar dem Ganzen schon einen durchaus romantischen Klang; und wenn das Nibelungenlied in eiserner Konsequenz mit den Schrecken der Rache schließt, endigt hier alles in Versöhnung und Frieden.

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