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Indem wir jedoch aus dem ungeheuern Vorrat hier vorweg die Poesie ausscheiden, haben wir gleichwohl dadurch nur wenig gewonnen. Denn diese Beschränkung ist eigentlich nur eine scheinbare. Wir haben schon oben bemerkt, dass das Leben der Deutschen am entschiedensten durch die Literatur und ihre Literatur wiederum vorzugsweise durch die Poesie vertreten wird. Unsere Poesie aber ist kein bloßer Luxus, keine isolierte Kunstfertigkeit zum Nutzen und Vergnügen des müßigen Publikums; sie hat, mehr als bei andern, ihre innere Notwendigkeit in dem allgemeinen Organismus der Nationalbildung. Sie ist daher so mannigfaltig wie diese Bildung selbst, und ihr Einzelnes wird nur aus dem Ganzen verständlich. Ein Blick in die Vergangenheit läßt diesen beständigen Parallelismus zwischen der Poesie und den übrigen Zweigen der Literatur deutlich erkennen.

Ziehen wir, wie billig, zunächst die Philosophie in Betracht, so sehen wir zwei aus den Trümmern des Altertums hervorgegangene Hauptströme das ganze Mittelalter durchziehen, die Philosophie des Aristoteles und die des Plato. Die Aristotelische suchte die Fülle der Erscheinungen und Erfahrungen zu begreifen und zu ordnen, sie war mehr ein Schematismus der Wissenschaften als eine Wissenschaft. Die Platonische dagegen ging, nicht ohne christliche Ahnungen, tiefer auf den Urquell aller Wissenschaft, auf eine allen Erscheinungen zugrunde liegende göttliche Weltseele. Jene entsprach mehr dem Verstande, diese mehr der Phantasie und dem Gefühl; beide zusammen umfaßten also so ziemlich das ganze intellektuelle Gebiet der menschlichen Natur. Beide aber waren im Mittelalter teils durch orientalische Umdeutungen, teils durch das Bestreben, sie mit dem Christentum und der durch dasselbe veränderten Weltansicht zu vermitteln, mannigfach alteriert, verstümmelt und fast sagenhaft geworden. – Später, nachdem die Welt gealtert, gewann indeß der Verstand allmählich immer mehr die Oberhand, und es entstand namentlich in Deutschland eine Art mathematischer Philosophie. Leibniz zeichnete mit seinem System angeborener Ideen einen abstrakten Grundriß des Verstandes, dessen Linien und Konturen von dem bei solcher Prädestination vorweg gebundenen inneren Walten des Geistes nicht belebt werden konnte, während er ebenso mechanisch auch in Raum und Zeit nur die Ordnung der nebeneinander bestehenden oder aufeinander folgenden Dinge erkannte. Wolff führte diese Lehre in die Schule ein, wodurch sie bald in ein totes Formelwesen ausartete und die Lichtblicke ohne weitere Folge blieben, womit Leibniz, den Herder einen Dichter in Philosophie und Mathematik nennt, in seiner fragmentarisch-divinatorischen Natur beständig über sein eigenes System hinauslangt. – Kein Wunder daher, dass durch diese Bresche nun in Deutschland die Philosophie des Auslandes immer siegreicher eindrang. In Frankreich hatte es Descartes unternommen, die Entstehung der Welt, wie ein sich selbst fabrizierendes Uhrwerk, aus hypothetischen Wirbeln zu erklären und das Dasein Gottes streng mathematisch aus der menschlichen Vernunft zu erweisen, also gewissermaßen den Schöpfer zum Geschöpf des Erschaffenen zu machen. Vergebens suchte der Engländer Locke mit dieser Philosophie der Sinnlichkeit noch den Glauben an eine Gottheit zu vereinigen; der einmal emanzipierte Menschengeist, da dergleichen Palliative nicht genügen konnten, stürmte von Zweifel zu Zweifel bis zum nackten Atheismus fort, den Voltaire und Diderot für die Gebildeten salonmäßig zu bekleiden bemüht waren. Diese flache Freidenkerei scheuchte Lessing mitten unter seinen kritischen und theatralischen Jugendarbeiten zu einem verzweifelten Kampfe auf Tod oder Leben auf. Mit fast verwegener Kühnheit stellte er die Sache auf die äußerste Spitze aller ihrer Konsequenzen, von wo sich plötzlich der unverschleierte Blick in den gähnenden Abgrund auftut, um die Welt zur endlichen Wahl und Entscheidung zu nötigen, entweder über die Kluft, wenn sie's vermöchte, hinwegzusetzen oder resolut umzukehren. Aber die Welt tat weder das eine noch das andere, akzeptierte jene Konsequenzen als eine neue, willkommene Eroberung und jubelte nur um desto selbstgefälliger am Rande des Abgrundes fort, ohne ihn zu merken.

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