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Gleich wie wir also eine philosophische Poesie besitzen, so haben wir auch eine philologische Poesie. Die Reformation hatte zum Behuf ihrer biblischen Kritik und Exegese die Philologie auf einmal aus der natürlichen bescheidenen Stellung verrückt, die sie im Mittelalter fortdauernd eingenommen. Die Philologie war das verzogene Kind der protestantischen Theologie und hat sich daher sehr bald völlig emanzipiert und aus einem bloßen Mittel höherer Bildung zum Zweck dieser Bildung gemacht. Sie ist ohne Zweifel der unentbehrliche Schlüssel zu den geistigen Schätzen des Altertums; aber ebenso gewiß ist es doch ein seltsamer Irrtum, den Schlüssel als die Hauptsache als den Schatz selbst, zu nehmen. Und das geschah in der Tat. Auf den protestantischen Schulen wurde nun namentlich auch die Poesie eine bloße Hülfswissenschaft der Philologie. Homer, Pindar, Sophokles und Virgil hatten nur gedichtet, um der Nachwelt die Regeln der alten Grammatik anschaulich zu machen, oder höchstens um den gelehrten Scharfsinn an neuen Konjekturen und Lesarten zu üben; die Schüler sollen lateinisch und griechisch dichten, ja antik denken und glauben lernen. Diese servile Nachahmung der Alten – welche, wie die damaligen Römer, alles für barbarisch erklärt, was nicht römisch oder griechisch ist – hat aber die moderne Barbarei herbeigeführt: die stupide Verachtung unseres Mittelalters und seiner großen Dichterwerke. Eine solche totale Rückwendung zum klassischen Altertum wird überall schulmäßig als notwendig und überaus heilsam gepriesen. Wir können beides, auf die Gefahr hin, verketzert zu werden, keineswegs so unbedingt zugeben. Notwendig allerdings war es nur für die Protestanten, weil sie mit dem Mittelalter gebrochen hatten und also gleichsam von vorn wieder anfangen und einen neuen Anknüpfungspunkt erst suchen mußten. Aber natürlicher und heilsamer wäre es gewesen, an den nationalen Bildungsgang anzuknüpfen, der durch den Dreißigjährigen Krieg zwar gestört, aber durchaus nicht vernichtet war. Dies taten in Spanien Lope de Vega, in England Shakespeare, und als dort die neuern Poeten, hier Ben Jonson sich zu den Alten wandten, folgte hier und dort der Verfall der Poesie.

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