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In diesem Heidenlärm des eingebildeten Fortschritts erscheint Kant gewissermaßen als ein Reaktionär, indem er die übermütig gewordene Vernunft lediglich auf das Gebiet der Erfahrung zurückweist und jenseits dieses Gebiets ihr die Fähigkeit zur Erkenntnis der übersinnlichen Welt abspricht. Es ist weder unseres Berufs noch der Ort hier, näher zu erörtern, wie Kant dennoch einen sogenannten Vernunftglauben statuiert und also mit seinem eignen System in Widerspruch gerät. Wir wollen, unserer eigentlichen Aufgabe gemäß, hier nur erwähnen, dass er von der tieferen Bedeutung der Poesie kaum eine Ahnung hatte, da er dieselbe im Grunde für ein bloßes Zerstreuungsmittel hielt und sie daher auf das Prokrustesbett seiner rigoristischen Begriffsmoral strecken wollte, weshalb denn auch in einer Zeit, wo schon Klopstock, Goethe und Herder blühten, Pope und Haller seine Lieblingsdichter waren. – Aber sehr bald wurden die Schranken, in die Kant die Vernunft eingehegt, von Fichte gewaltsam wieder durchbrochen. Fichte wollte jenseits des Kantschen bedingten Wissens eine unbedingte Denkfreiheit geltend machen, er unternahm es wirklich, über den Abgrund, den Lessing aufgetan, hinwegzusetzen, das Prinzip des Protestantismus in seiner ganzen Strenge als souveränes Ich über die Welt auf die letzten unwirtbaren Gipfel des Idealismus emporzuheben, und es ist jedenfalls ein denkwürdiger Anblick, mit welcher athletischen Kraft er mit dieser an sich unmöglichen Aufgabe gerungen. Dieses Extrem konnte indeß keinen Bestand haben. Schelling suchte daher, wie schon die Bezeichnung seiner Lehre als »Naturphilosophie« andeutet, das die Natur und Geschichte verschmähende, unbedingte Wissen mit dem bedingten der äußern Wahrnehmung zu vermitteln und den geheimnisvollen Goldgrund, den Schimmer Gottes, der alle Erscheinungen durchleuchtet, in wesentlich Platonischer Anschauung nachzuweisen.

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