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Auch die wandelbaren Prinzipien der Erziehungslehre sind bei uns durch eine sehr mannigfaltige pädagogische Poesie vertreten. Der steifen Anstandsschule der guten alten Zeit, wo die Kinder nur frisiert und gepudert vor ihren Eltern erscheinen durften, entspricht genau die gleichzeitige mathematische Zopfpoesie, die das ganze Leben als eine feierliche Menuett mit geometrisch abgemeßnen Touren und symmetrischen Bücklingen auffaßte. Bald darauf folgte plötzlich Basedows Natursturm, eine Art Urwälderei und natürlicher Moral; jeder sollte, wie Kraut und Rüben, bloß aus einem angebornen Naturell herauswachsen und zu allgemeiner Nützlichkeit praktisch dressiert und verbraucht werden. Goethe hat diese Wirtschaft, wir wissen nicht recht, ob im Ernste oder ironisch, jedenfalls aber sehr treffend in der pädagogischen Provinz seiner Wanderjahre geschildert. Als poetisches Gegenbild aber erschienen nun sogleich zahllose rührende Romane von unübertrefflichen Wilden, es kam das Weib, wie es sein sollte, der Jüngling, der Gatte, die Köchin, wie sie sein sollten; ja selbst Ifflands Schauspiele gehören recht eigentlich hierher. Später jedoch hatten die Pädagogen sich ein Eldorado erdacht, zu dessen Eroberung die Jugend zurechtgemacht werden sollte. Sie sollte schlechterdings dereinst Kirche und Staat reformieren und hierzu frühzeitig heroisch gestimmt und gestählt werden; es wurde daher selbst das freie Spiel der Kinder als Turnkunst in ein spartanisches System gebracht und von der Kirche und Religion nur der Haß gegen das katholische Mittelalter beibehalten. Aber die geharnischten Jungen akzeptierten natürlicherweise das ihnen prädestinierte Heldentum vor der Tat; so entstand die Altklugheit, aus der Altklugheit der Dünkel und aus diesem die neueste politische Poesie, die grade die Unreifsten beschäftigt und begeistert hat und im Grunde auch nur eine versifizierte Turnübung war; so wie denn überhaupt diese ganze, beständig wechselnde, pädagogische Poesie nur eine psychologische Experimentalpoesie ist und sein kann. – Neuerdings endlich scheint wieder eine ganz materielle Richtung vorzuwalten, eine allgemeine Realschule zu Erzielung einer industriellen Reichsritterschaft, wo der erfinderische Eigennutz die Heldenrolle übernommen hat und die Geldaristokratie, anstatt des alten Adels, in den dampfenden und klappernden Fabriken über ihre Leibeigenen ziemlich barbarisch verfügt. Hiermit aber hat die Poesie, als eine brotlose Kunst, gar nichts zu schaffen, gegen welche sich daher auch eine auffallende Gleichgültigkeit und Verachtung überall bemerkbar macht.

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