Читать книгу Kunst des Lebens, Kunst des Sterbens. Wie wir den Traum von Ich und Welt mit Achtsamkeit, Mitempfinden und offenem Gewahrsein meistern und befreiende Luzidität erlangen können онлайн

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Eine klare, vor dem Tod schon kultivierte Richtung, wohin wir nach diesem Leben gehen wollen, ist wichtig. Anderenfalls sind wir wie Reisende auf einem Bahnhof, die vergessen haben, wohin sie fahren wollten. Sie werden folglich einem spontanen Einfall oder der Anregung eines Mitreisenden, sprich, sie werden ihren früheren Prägungen folgen, genau wie in einem nichtluziden Traum.

Longchen Rabjam lädt uns ein, nachdem er die idealen Umstände einer Eremitage inmitten der Natur beschrieben hat, wo unser Geist zur Ruhe kommen kann, zunächst die Wandlungen in unserer Umgebung zu beobachten und Anlass für weitere Realisationen der Vergänglichkeit werden zu lassen. Er schreibt: »Nachdem du dir deinen Sitz bereitet, ihn eingenommen hast und zur Ruhe gekommen bist, beobachte das Knospen, Blühen, Reifen, Welken, das Herabfallen und die Auflösung der Blätter der Bäume um dich herum, und realisiere, dass auch dein Körper, deine Jugend, die Sinne und alles Erworbene sich ständig ändern und hinfällig sind. Wie die Blätter sich trennen vom Baum, so werden auch deine Freunde, Feinde und dein Körper und alles, woran du hängst, unaufhaltsam von dir abfallen und verloren gehen. Siehst du ausgetrocknete Lotosteiche, so realisiere, dass alle Objekte des Begehrens, dass Reichtum und Wohlstand sich wandeln und alles, was angesammelt wurde, wieder zerstreut wird. Die Stunden, Tage, Monate und Jahreszeiten vergehen ohne Halt, und wie diese Frühlingsblumen, so vergeht auch dein blühender Körper. Ihre jugendliche Erscheinung verwelkt, und der Herr des Todes kommt bestimmt. Und so, wie reife Früchte herabfallen, so sterben Junge und Alte, wenn ihre Zeit gekommen ist. Der Zeitpunkt des Todes ist nicht sicher, doch sicher ist es, dass alles, was geboren wurde, sterben muss. Siehst du die Spiegelungen der Dinge auf einer ruhigen Wasserfläche, so realisiere, dass alle Phänomene zwar erscheinen und doch, wie diese Spiegelungen, keine greifbare Existenz, keine eigene Wirklichkeit besitzen.«

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