Читать книгу Das Rennen gegen die Stasi. Die Geschichte des Radrennfahrers Dieter Wiedemann онлайн

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Verantwortlich für das Programm mit dem Codenamen »Staatsplan 14.25« war Manfred Ewald. Als Präsident des hochgradig erfolgreichen Deutschen Turn- und Sport-Bundes (DTSB) wurde ihm 1983 als einem der ersten Honoratioren der Olympische Orden verliehen, eine Ehre, die er nun unter anderem mit Jesse Owens und Papst Johannes Paul II. teilte. Zwei Jahre später erhielt auch Erich Honecker dieselbe Auszeichnung, zusammen mit dem rumänischen Diktator Nicolae Ceaucescu. Nach der Wende wurde jedem der drei der Prozess gemacht: Ceaucescu wurde wegen Völkermordes hingerichtet. Honecker entging einer Verurteilung nur wegen seines angeschlagenen Gesundheitszustandes. Und Manfred Ewald wurde verurteilt wegen »Beihilfe zur Körperverletzung zum Nacheil von 20 Hochleistungssportlerinnen«, denen man ohne ihre Kenntnis anabole Steroide verabreicht hatte. Er erhielt eine Gefängnisstrafe von 22 Monaten. Auf Bewährung.

All diese Dinge sind seit langem öffentlich dokumentiert. Doch was ist mit dem Radsport in der DDR? Was ist mit den ostdeutschen Vertretern einer Sportart, die wegen ihrer besonders engen Verflechtung mit Dopingvergehen so sehr in Misskredit geraten ist wie kaum eine andere? Diese Fragestellung hatte mich immer schon fasziniert, und bei meinen Recherchen hatte ich schnell gelernt, dass der Radsport in der DDR extrem populär war, insbesondere in den 1950er und 1960er Jahren. Das Aushängeschild war die mythenumrankte Friedensfahrt. Als »Tour de France des Ostens« fand dieses internationale Etappenrennen jedes Jahr im Mai statt, mit Berlin, Warschau und Prag als Eckpfeilern im Streckenplan. Mit großer Übereinstimmung hieß es immer wieder, dass die Friedensfahrt – zumindest als Zuschauerveranstaltung – zu ihrer Zeit weitaus größer und zugkräftiger war als die Tour selbst. Ich wollte verstehen, wie groß dieses Rennen damals wirklich war und welche kulturelle, politische und gesellschaftliche Bedeutung es besessen hatte. Britische Radsportler, die bei der Friedensfahrt an den Start gegangen waren, hatten mir von gigantischen Zuschauermassen berichtet, aber ich hatte keine Vorstellung davon, welche Bedeutung dieses Rennen im Alltag jener Menschen hatte, für die es der Höhepunkt im Sportkalender war. Welche Rolle spielte die Friedensfahrt in der Welt des DDR-Sports und innerhalb des Ostblocks? Wer waren die ostdeutschen Radsporthelden und wie sehr waren ihr Leben und ihre Karrieren von politischen Interessen geprägt? Wie weit griff die staatliche Kontrolle und Lenkung im Radsport, und bis zu welchem Grad nahmen politische Überzeugungen (oder auch die materiellen Bedingungen) Einfluss auf radsportliche Leistungen? Wie war es, in einem vermeintlichen Tyrannenstaat sein Auskommen als Radrennfahrer zu haben, und wie erging es den Protagonisten dieses Sports mit der Stasi?

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