Читать книгу Nicht Anfang und nicht Ende. Roman einer Rückkehr онлайн
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Ja, in unserem Dorf gab es Not und Elend genug, aber gerade darum kümmerte man sich umeinander und half sich gegenseitig weiter. Wir, die Valdi, konnten uns noch zu den Glücklichen zählen, denn unser Vater besaß das Weiderecht für fünfzehn Kühe und zwei Fuß auf der Alp Sologna, und zwischen Roseto und Cavergno brachten wir Heu für anderthalb Kühe und zwei Dutzend Ziegen zusammen. Dank dem Käse von der Alp hatten wir zu Hause niemals richtigen, nackten Hunger kennen gelernt. Um zu merken, wie gut wir dran waren, brauchten wir nur die Tuni- oder die Cavergni-Kinder anzusehen oder gar die neunzehn Sprösslinge des armen Brasca; die waren so elend, dass keines von ihnen auf den Beinen stehen konnte, bevor es vier Jahre alt war, und die wenigen, die überhaupt davonkamen, blieben ihr Leben lang krumm und schief.
Den Cavergni bin ich viele Jahre später in Kalifornien begegnet, wohin alle drei Söhne auswanderten.
Als wir dort von unserer Kindheit sprachen und wie schwer wir uns durchgeschlagen hatten, erzählten sie mir, wie ihr Vater es anfing, sie satt zu machen, nachdem die Mutter gestorben war; die war allzu oft mit leerem Magen schlafen gegangen, weil sie den Kleinen nichts wegessen wollte. Nun, der Vater pflegte für ein paar Soldi den Abfall von den Sennhütten zu kaufen, verdorbenen Quark und Käse, den man sonst den Schweinen verfütterte. Das füllte er, tüchtig gesalzen und gepfeffert, in eine Holzbütte, und die Kinder mussten es essen, womöglich mit den Würmern darin; oder er tat das Zeug in die Wassersuppe, die dadurch zu einem Schweinetrank wurde. Aber Hunger tut weh, die Kinder aßen, und die Bütten waren ständig leer und harrten der Nachfüllung. Der Vater Cavergni betrank sich, sooft er konnte, und ich dachte bei mir, auf diese Weise hätte er sich wohl das Geld für seine Räusche zusammengespart; damals war ich noch nicht einsichtig genug, um zu begreifen, dass die Trunksucht eine Krankheit ist, die man sich zuziehen kann wie jede andere.