Читать книгу Kindheit in der Schweiz. Erinnerungen онлайн

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In der Milchhütte erlebte ich Walti gesprächiger. Er tauschte mit den andern Älplern Neuigkeiten aus. Meistens ging es ums Wetter oder um ein Rind, das erkrankt war oder sich an einen gefährlichen, abschüssigen Ort verstiegen hatte. In diesen Gesprächen kam die Zuneigung zu den Tieren und die Besorgtheit für das Wohl der Herde zum Ausdruck. Die Älpler waren sich der Verantwortung für die ihnen anvertrauten Tiere bewusst und hätten ihr Leben riskiert, um ein Rind von einem steilen Felsband herunterzuholen. Ab und zu sprachen sie auch über Ereignisse in der Welt draussen. Einige hatten einen kleinen Transistorradio in ihrer Hütte. Wir hatten auch einen. Er wurde aber nur am Abend um 19.30 Uhr für die Nachrichten eingeschaltet. Wir sassen mit geneigten Köpfen am Tisch und hörten die trockene Stimme des Nachrichtensprechers von Radio Beromünster. Nach dem Wetterbericht schaltete Walti den Radio wieder aus, um die Batterien zu schonen. Die Gespräche zwischen den Älplern bestanden nur aus kurzen, oft nur halben Sätzen. Einer sprach etwas an, was er am Radio gehört hatte, und sobald er merkte, dass die andern informiert waren, weil sie auch Radio Beromünster gehört hatten, brach er mitten im Satz ab, und alle schwiegen, als ob sie keine Worte verschwenden wollten über etwas, was alle schon wussten. Das Gespräch zur Meinungsbildung oder zum Austausch unterschiedlicher Standpunkte schien den Älplern nicht vertraut. Wozu sollten sie sich eine Meinung bilden über das, was weit draussen in der Welt geschah und sie hier oben auf der Alp nicht betraf? Wenn ich Walti in diesen brüchigen und kargen Gesprächen erlebt hatte, empfand ich unser Schweigen danach noch bedrückender. Ich hatte den Eindruck, es liege an mir. Ich war offensichtlich kein interessanter oder gleichwertiger Gesprächspartner. Zu meiner Einsamkeit kam so noch ein diffuses Schuldgefühl. Ich hielt diese langen Tage nur aus, weil mir die Arbeit gefiel und ich spürte, dass ich nützlich war. Das versöhnte mich mit Walti. Er war froh, dass er die Geissen mir überlassen konnte. Er war auch dankbar, dass ich ihn auf den Melktouren am frühen Morgen begleitete, auch wenn «danke» nicht zu seinem Wortschatz gehörte.

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