Читать книгу Friedrich Glauser. Erinnerungen онлайн
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Glauser musste weiterlesen, bis man den Gang der Handlung und die Komposition, dieses verrückte Gerzenstein, seine Honoratioren und ihre Söldlinge, seine geheimen Laster und Verbrechen, diese hohle, brüchige Gesellschaft kannte, in der ein älterer kantonalbernischer Fahnderwachtmeister die Gerechtigkeit herstellen wollte.
Die zuhörenden Schriftsteller waren von verschiedener Richtung und pflegten sich zu versammeln, nicht um einander emporzuloben, sondern um durch unbeirrt sachliche Kritik einander zu fördern, voneinander zu lernen. Glauser wusste das und schien gefasst auf das Urteil zu warten. War es die Ungewissheit oder die Anstrengung des Lesens, die ihn in sich zusammensinken ließ? Er empfand wohl nicht, dass das kurze Schweigen, das seinem Vortrag folgte, der Sammlung diente, der Besinnung auf das passende Wort für sein Werk. Sein Gesicht war verschattet, ein bartloses Gesicht von unbestimmbarem Alter – achtundzwanzig, Mitte dreißig, vierzig?
«Sehr schön», fing einer an und rühmte die sichere und kühne Dialektfärbung der Sprache, die Menschengestaltung, die echte Atmosphäre. Man betrachtete die Sache von allen Seiten und kam überein, dass hier mehr als ein glänzender Kriminalroman vorlag. Das war ein Roman von wesentlichem sozialem Gehalt. Das war das Schweizerdorf, neuartig gesehen von einem geschulten, wissenden Auge und durchleuchtet von einem unerbittlich nach Wahrheit forschenden Geist. Das war ein Spiegel unserer Zeit – also das, was nach einer klassischen Begriffsbestimmung der Roman sein soll. Ein Spiegel, der das Bild unverzerrt, ohne Schmeichelei und ohne Hass, kräftig, leuchtend zurückwirft.