Читать книгу Die Stimme des Atems. Wörterbuch einer Kindheit онлайн
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Wenn schon eine Nationalhymne sein musste, warum konnte diese nicht das «Beresinalied» sein? Was sind wir im besten Falle? Brüder (und Schwestern). Was ist unser Leben andres als eine Reise in der Nacht?
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Raumer
«Hört, was das Moser zusammengeschludert hat. ‹Gestern liefen wir› – gemeint ist die Familie Moser, die Eltern, das Moserli und zwei Brüder –, ‹weil es schön war, von der Ringmauer ins Kunzenbad. Beim Kunzenbad angekommen, bellte der Hund, und Vater sagte, jetzt laufen wir auf den Heiternplatz, dort hatten wir Durst und tranken, und vom Heiternplatz liefen wir wieder in die Ringmauer. Fritzli musste hatschielen und schnuderte in den Nasenlumpen. Der Spaziergang hat mir fest gefallen.›» Raumer, das Gesicht abgewendet, schüttelt mit zwei spitzen Fingern das Aufsatzheft von Ruthli Moser aus, als ob es von Läusen wimmelte, und das Löschblatt trudelt übers Pult weg zu Boden. «Stellt euch die Mosers vor! Es ist Sonntag, und weilʼs schön Wetter ist, brechen sie, Vater voran, im Sturmschritt aus ihrem Loch in der Ringmauer ins Freie, rennen durchs Pomernquartier ins Kunzenbad, immer voran Papa Moser, dann das Moser und seine Brüder, zuhinterst keuchend Mutter Moser. Doch Moser père hat den Sonntag und das schöne Wetter im Nacken und rennt, die Familie auf den Fersen, auf den Heiternplatz. Dort langt man schweisstriefend an und lappt Wasser aus dem Brunnen. Nun könnten die Mosers verschnaufen und die Aussicht auf unsre schöne Stadt mit Mauern, Türmen, der Kirche und den behäbig in die Obsthänge gelagerten Villen geniessen. Sie aber sind nicht zu bremsen und rennen im Garacho durch die Pünten und über den Hirzenberg hinunter, um ja früh genug wieder in ihr Loch an der Ringmauer zu schlüpfen. Doch da bekommt Bruder Fritz den Schnupfen. Undsoweiter. Moser, du bist die stockdümmste Gans, die ich je habe mitschleppen müssen! Laufen, hochdeutsch, meint rennen, louffe heisst gehen, hatschiele niesen, iNaselumpe schnudere sich ins Taschentuch schneuzen! Oder entleert ihr Mosers eure Rotznasen in alte Scheuerlappen? Würd mich nicht wundern. Und du willst in die Sek? In der Oberschule werd ich dich anmelden, denn irgendwo muss man dich reif werden lassen, bis du von selbst aus der Schule faulst, und Herr Keller wird Gott danken, sobald er dich durchgeseucht hat. Wenn du so lang wie dumm wärst, du könntest über den Mond weg aus dem Dachkännel Wasser lappen, und wärst du so klein wie deine Intelligenz, Moserli, du könntest in jedes Mausloch schlüpfen und dort den Hochsprung üben! Huschhusch!» Raumer verscheucht einen bis zur Unsichtbarkeit verächtlichen Floh mit der linken Hand. «Nimm endlich dein Löschblatt vom Boden! Ja, die Mosers in ihrem Ringmauerloch: Du wohnst, wo du hingehörst. Das nächste Mal liegt ein sauberes Löschblatt im Heft, und du hast den Aufsatz fehlerlos abgeschrieben, sonst schreibst du ihn im Arrest noch ein drittes Mal. Da hast du dein Meisterwerk!» Raumer wirft das Heft vor Ruthli Moser, die unter ihm in der ersten Reihe sitzt, auf die Bank, dass es klatscht wie eine Ohrfeige. «Und heul nicht schon wieder! Heulen können sie, gescheiter werden nicht! Dumm, dümmer, am dümmsten – jetzt werden wir das Eigenschaftswort weiter steigern, schaut euch das Moser an: saudumm – dreckdumm – stinkdumm. Heb endlich deinen Schnuderlappen auf, dem ihr Mosers Löschblatt sagt!»