Читать книгу Die Stimme des Atems. Wörterbuch einer Kindheit онлайн

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Klein, unterernährt, bleich und braunschopfig, rappelt Ruthli Moser sich aus der Bank hoch, schleicht geduckt zum Mittelgang, den linken Unterarm im roten Pulloverchen vor Mund und Nase pressend, und grapscht halbblind vor Tränen, am dreckgrauen Schulzimmerparkettboden herum nach dem Löschbatt.

Er galt als der Star. Keiner hievte und mostete so viele Fünftklässler in die Bez wie Raumer. Daran wurde er gemessen, darob war er hochgeachtet. Er leitete die Sektion Zofingen des Schweizer Jugendhilfswerks Pro Juventute. Er hat unsre Kindheit im 11. Lebensjahr ins Grab geschaufelt. Er trug eine randlose Brille, hatte graues, nach hinten gekämmtes Haar und züchtigte seine Strafkompanie vokal. Er war das lebende Lehrersyndrom. Kinder, ihre ängstlichen Seelen, ihr fragiles Selbstbewusstsein, waren sein Morgarten und Sempach. Er hätte ein guter Lehrer sein können, doch sein Auftrag: «Rein in die Bezirksschule!» hat ihn geschlissen. Dafür hielt er sich schadlos.

Ich sehe ihn am ersten Schultag. Er thront friedlich hinterm Katheder, und der Reihe nach muss jedes von uns aufstehen und seinen Namen nennen. Er zieht die Karteikarte und wirft einen prüfenden Blick auf die Personalien. Ein dickliches rothaariges Mädchen ist an der Reihe: Erna Leu. – «Löi?» Raumer studiert die Karte. Der Abglanz innern Triumphs erhellt sein Gesicht: «Aha, soso, auso duu bisch sLöi ungchunnsch eerschno usem Rohrbachgrabe, natüürlech, has tängkt, alli Zigüüner chömed usem Rohrbachgrabe, döört hepmese siinerziit versoorget. Aber scho chrüüchets wider atSunne, säb wämmer dänn no luege, und rooti Hoor hesch au no, diir isch sZigüünerbluet iChopf gschtige. Daas wiirpmer au öppis Guets sii! Hockap umpmach äntlech de Chlaffe zue.» Damit ist Erna Leu abgeschrieben.

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