Читать книгу Die Stimme des Atems. Wörterbuch einer Kindheit онлайн

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Verleumde den armen Schulmeister nicht, der schon längst das Gras von unten betrachtet! Obige direkten Reden sind weitgehend Zitat aus der Erinnerung, Beweis, wie unauslöschlich Raumer die Gemüter zu tätowieren wusste. Mir ist er nie zu nahe getreten. Einmal, weil mein Vater in der Schulhierarchie ein entscheidendes Stockwerk über ihm logierte, zum andern, weil ich vermutlich einer der paar Lichtstrahlen unter so viel vermeintlicher Intelligenzverdunkelung gewesen bin. Denn die beiden Fächer, welche Raumer am liebsten, ja, meine ich, hervorragend unterrichtete, Heimatkunde und Geschichte des Kantons Aargau, waren für mich Stunden halb mystischen Glücks. Raumer erzählte spannend; ich habe ihn weder gehasst noch gefürchtet. Er stand in der Glorie dieser beiden Fächer. Der Arme war wie seine Schüler ein Opfer.

Einen Erfolg über mich hat er verbucht: Ich habe ein Jahr lang an Magen- und Darmkrämpfen gelitten. Dann bettete mich der ausgebildete Samariter eigenhändig in die leere hinterste Bankreihe, träufelte Kirsch auf einen Würfelzucker und steckte mir diese Widrigkeit in den Mund. Der Unterricht nahm seinen Fortgang; zusammengekrümmt starrte ich an die weissgraue Zimmerdecke. Meine Eltern waren ratlos, brachten mich ins Spital; Darmeinlauf, Röntgenaufnahme: nichts. Der Vorschlag wurde erörtert, mir wie meinem Bruder prophylaktisch den Bauch aufzuschneiden und bei diesem Augenschein gleich den Blinddarm wegzumachen. Die Diskussion zog Fäden, bis ich Raumers Strafkolonie entronnen war und die Krämpfe verschwanden.

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