Читать книгу Das Bündel Zeit. Erinnerungen an eine Kindheit am Berg онлайн
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«Mutter, weshalb trägt Vater sein Sonntagshemd und den Ledergürtel mit den goldenen Kühen?»
«Er kann sie nicht sehen, denn seine Augen sind für immer zu.»
«Mutter, gibt es dort auch neue Kälbchen, die nicht trinken, denen Vater mit zwei Fingern helfen muss? Trocknet er dort auch das Neue mit Heu und Stroh?»
«Mutter, nimmst du mich mit, wenn du morgen die Kühe melken gehst?»
«Der Schnee ist mannshoch, und du, Heireli, bist ein Dreikäsehoch.»
«Ich melke jetzt meine Kuh, jene, die Vater mir geschnitzt. Und lege sie dann auf seine Sonntagsbrust.»
Ich schaue aus dem Stubenfenster, es schneit. Zürich, erster Schnee, Dezember 2010.
Ein Jahr später
Auch diesen Winter fallen die Flocken schwarz. «Eingeschneit», sagt Mutter. Vater «Bunkerschlaf». Ich schweige. Im Gemüsekeller stehen drei Notbetten mit drei Bettflaschen aus Metall.
Mutter und ich in langen, barchentenen Hemden, Vater in langen Trikotunterhosen und Wollhemd, so liegen wir auf diesen Latten. Warten auf den Schlaf. Warten. Warten auf den stündlichen Anruf von der Polizei, sagen, dass es uns noch gibt, sagen «Gute Nacht». Warten auf das eine Wort. In unseren Köpfen ein Geschwür, von der Kehle gehalten. Wir horchen. Horchen auf das Schlagen in unserer Brust, auf den Atem des Anderen, ein leises Schnarchen, horchen auf die stehende Luft, auf unser Eingeschlossensein. Und horchen auf das Licht des Tages. Das vertraute Ticken der Stubenuhr hinter den Balken, erstickt.