Читать книгу Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991 онлайн

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Dieses literarische Arrangement ist von Bedeutung: Jürg Reinhart ist ein Reise- und Künstlerroman im Gewand eines Erziehungsromans. Das Schema des Erziehungsromans heißt: Ein junger Mensch gerät in eine vorgegebene Welt und reift darin durch Konflikte, Erfahrungen und Bewährung. Am Schluß paßt er in ihre Normen, ist integriert, ist erwachsen. Aber die Welt, in die Jürg hineinwachsen soll, ist nicht die Gesellschaft von 1932/34. Es ist eine versinkende, adlig-großbürgerliche Gesellschaft. Wilhelm Meister, hundertfünfzig Jahre früher verfaßt, ist ihr gegenwärtiger als die autoritär bis faschistisch gewordene Gegenwart. Jürg mäandert zwischen Illusionen aus Rousseaus ›einfachem‹ Leben, romantischer Naturidyllik und Winckelmanns Griechenideal. Der Text bestätigt zwar Frischs Entschluß, ein Künstler außerhalb der Geldverdiener-Gesellschaft sein zu wollen, aber die Bestätigung gelingt nur als Flucht aus der Lebensgegenwart in eine illusionäre Vergangenheit, aus der normalen in die Ausnahmesituation, aus der aktuellen Gesellschaft in ein rückwärtsgewandtes Utopia. Diese formale Konstruktion des Romans reflektiert den Lebensweg des Autors: Frisch hatte sich durch die Flucht in eine Künstlerreise den Zwängen der Lohnarbeit entzogen, war aus der herrschenden Gesellschaft in die fremde, ferne Welt ausgestiegen. Und nur als Aussteiger konnte Jürg/Max seinen Lebensplan als Künstler realisieren. In diesem außersozialen Rahmen ging es nur noch um die innerlich-moralische Entwicklung des Individuums Jürg/Max.

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