Читать книгу Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991 онлайн

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Ende 1940 erschien eine zweite Folge der Blätter in sechs NZZ-Beiträgen.184 Sie enthielt kritische Gedanken zum Krieg, zur sozialen Ungleichheit, zum Mißbrauch der kommunistischen Ideologie als Schreckenspopanz. Und sie kritisierte erstmals offen das bornierte, enge und am Bestehenden ängstlich festklammernde Bewußtsein vieler Schweizer, die den »Ruhestand des Geistes … gelegentlich schon mit Gesinnung« verwechselten.185 Das waren auffällig dissonante Klänge in der bisherigen Heimatharmonik, die anzeigten, daß Frisch im ersten Jahr des Aktivdienstes sein Schweizbild einer Revision zu unterziehen begann.

»Europa kippt, ich glaube nicht, daß man es noch aufhalten wird«

Wenn auch Frisch jede Politik aus der Literatur fernhielt, so beschäftigten ihn doch die höchst dramatischen Zeitereignisse. Im Frühjahr 1940 überrannte die deutsche Wehrmacht Dänemark, Holland, Norwegen, im Juni kapitulierte Frankreich. Die Schweiz war nun ganz von faschistisch beherrschten Ländern umgeben, und Frisch rechnete, wie so viele andere auch, mit dem Sieg des Faschismus in ganz Europa. Am 17. Juni schrieb er unter dem Eindruck der französischen Kapitulation an Käte: »Europa kippt, ich glaube nicht, daß man es noch aufhalten wird. Das Denken an Frankreich, so unbekannt es mir ja ist, erfüllt mich mit Schmerz. England – England ist märchenhaft. Jetzt, wo man weiß, wie sie diesen Krieg in Sachen Mannschaft u. Ausrüstung begonnen haben, ist das deutsche Vorrücken kein Wunder; es ist, um sportlich zu reden, verdient. Warum hat man den Deutschen nicht geglaubt? Weil es unbequem war; weil es Geld gekostet hätte. England – England, das Reich des Geldes! Jetzt ist es zu spät, und es ist um ein solches Land nicht schade – im Gegensatz zu Frankreich – Wie aber wird das deutsche Europa aussehen? Ich verbrauche ganze Morgen, ganze Abende, um zu denken und nichts zu sehen. Wir, noch immer unheimlich verschont – von Italiens Gnade und Bedürfnis lebend – hängen nun überhaupt in der Luft. Wir werden, das ist das Bitterste, überhaupt nicht mehr zum Kampf kommen; unser Schicksal, so oder so, vollzieht sich über uns hinweg –«.186

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