Читать книгу Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991 онлайн

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Der deutsche Sieg ist »verdient«, um England ist es »nicht schade«, und »unser Schicksal vollzieht sich über uns hinweg«. Frisch war weder deutschfreundlich noch defätistisch; er sprach in diesem Brief bloß aus, was viele dachten: Der Einmarsch der Deutschen kommt bestimmt, und damit wird die Frage nach »Anpassung oder Widerstand« zur Existenzfrage. Die Landesregierung zwang die Presse zu höchster Zurückhaltung, um jeden Konflikt – und damit jeden Vorwand zum Einmarsch – zu vermeiden.187 Grenzübertritte und der Aufenthalt von Flüchtlingen in der Schweiz – ein Dauerstreit mit dem deutschen Reich – wurden weiter erschwert. Staatssekretär von Weizsäcker, Vater des nachmaligen deutschen Bundespräsidenten, forderte unverblümt, die Schweiz möge sich verhalten wie das Edelweiß am Felsen, »das in die Welt hinausstrahlt, ohne andere zu behelligen«.188

Anpasserisch bis zur Subordination reagierte auch die politische Führung. Drei Tage nach Frankreichs Kapitulation hielt Bundespräsident Marcel Pilet-Golaz seine berüchtigte Radioansprache, in der er sich zur faschistischen Neuordnung Europas bekannte. Für die bisherige Politik der Neutralität gegenüber allen kriegführenden Staaten gebe es jetzt keinen Grund mehr. »Der Zeitpunkt der inneren Wiedergeburt ist gekommen.«189 Im September empfing er eine Delegation wichtiger Schweizer Faschisten, im November erfolgte die berüchtigte »Eingabe der Zweihundert«: Zweihundert führende Schweizer aus Wirtschaft, Bildung und Politik verlangten offen eine Angleichung an die Achsenmächte. Die Armeeführung war bis in die Spitze gespalten. Deutschfreundliche Generalstabsoffiziere versuchten den antideutsch eingestellten General Guisan zu entmachten und die Schweizer Armee zu demobilisieren. Guisan konterte mit einer neuen Verteidigungsstrategie, dem Réduit190 , und dem legendären Rütlirapport. Gleichzeitig verstärkte man die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Achsenmächten. De facto war die Schweiz ab Ende 1940 ein Teil des deutschen Wirtschaftsraums. Sie wurde der wichtigste Umschlagplatz des Reichs für Devisen und Gold – auch von Raubgold.191 »Sechs Tage in der Woche arbeiten die Schweizer für Hitler, und am Sonntag beten sie für seinen Untergang«, hieß der Witz der Zeit.

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