Читать книгу Brief an meinen Vater онлайн

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Es dauert nicht lange, da trifft Doktor H. ein. Rucksack, enges T-Shirt, Bauchansatz trotz seiner sportlichen Kleidung. Ich ziehe mich zurück. Nach einer Viertelstunde kommt er aus dem Zimmer, wir stimmen uns ab. «Es ist so weit», sagt er, «sie hat ge­­­nug gekämpft.» Dann gibt er der Pflegerin mit einem plumpen Scherz seine Anweisungen: «Le­­gen sie immer nur ein Pflaster auf einmal an, sonst brauchen wir Exit nicht mehr.» Zu mir sagt er: «Ihre Mutter will sterben, ich werde ihren Willen respektieren und das Rezept für das tödliche Medikament ausstellen.»

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Ist es egoistisch, lieber Vater, an seinen eigenen Kummer zu denken? Bei Beerdigungen habe ich oft festgestellt, dass Tränen, auch meine, eher Rührung über das eigene Schicksal als über das des Verstor­benen ausdrücken. Ich erinnere mich, wie ich einmal um einen Toten geweint habe. Du hast sehr verärgert reagiert, als täte man so etwas nicht in der Öffentlichkeit: «Also wirklich, Daniel!»

Du bist im Ersten Weltkrieg geboren, ich im Zweiten. Deine Mutter war fromm. Dieses Wort hast du immer besonders betont, ihre Gläubigkeit war dir zu aufgesetzt. Ihr wart vier Kinder. Wie es sich in Genfer Familien dieser Art gehört, findet der älteste Sohn seinen Platz in der Geschäftswelt, die älteste Tochter wird Krankenschwester, um sich besser um die Mutter kümmern zu können, der Dritte, also du, studiert Theologie, und das Nesthäkchen endet als Taxifahrer in Paris. Warum hast du dich für Theologie entschieden? Aus Überzeugung? Um deine Mutter nicht zu enttäuschen? Oder um deinem sogenannten aristokratischen Milieu, von deiner Frau als «dekadent» bezeichnet, den Rücken zu kehren?

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