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Manchmal hast du, nachdem du uns ins Bett gebracht hattest, noch Gemeindemitglieder aufgesucht, um eine Beerdigung oder eine Hochzeit vorzubereiten. Im Winter hast du mir, wenn du weiter wegmusstest, mehrmals erlaubt, dich zu begleiten. Wir spannten Robbenfelle unter unsere Skis, ich folgte dir zu einem abgelegenen Bauernhof. Mir kam es vor wie eine Reise ans Ende der Welt. Nach zwei Stunden durch den weiß verschneiten Jura betraten wir das Haus einer Bauernfamilie. Um den Ofen sitzend, empfing man uns in der niedrigen Gewölbeküche. Du hast dich nach den Kühen erkundigt, nach dem schneebedeckten Gemüsegarten, dir die Sorgen der Familie angehört, Geld- und Herzenssorgen. Keine Ratschläge. Du hast gefragt, ob du mit ihnen beten oder ihnen lieber einen Abschnitt aus der Bibel vorlesen sollst, die du aus deinem Rucksack zogst. Wenn sie ein Gebet wünschten, hast du all das eingefügt, was sie dir soeben anvertraut hatten, als müssten ihre Sorgen nun zum Himmel aufsteigen.
Das also war Deine Berufung: Eine Aufgabe zu erfüllen, die Wünsche der Gemeindemitglieder weiterzuleiten, damit Gott sie hört. Damals glaubte ich noch in kindlicher Art, Gebete seien magische Anweisungen an eine himmlische Macht, die sich um alles kümmert, um gute Lateinnoten oder das Lächeln einer Freundin. Du legtest Fürsprache ein, gabst zu verstehen, dass der Himmel nicht leer sei, dass er antworten werde, wenn nicht jetzt, so doch in einem anderen Leben. Es für diese Leute zu tun, die in Armut und Abgeschiedenheit lebten, erschien mir nützlich.