Читать книгу Die illegale Pfarrerin. Das Leben von Greti Caprez-Roffler 1906 - 1994 онлайн

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Als Zwölfjährige hatte Greti ebenfalls revolutionsähnliche Zu­stände erlebt, auf die sie sich damals keinen Reim hatte machen können. Die starke Teuerung und die schlechte Lebensmittel­versorgung während des Ersten Weltkriegs hatten die Not der Arbeiterfamilien so gross werden lassen, dass es im November 1918 zu einem landesweiten Generalstreik kam, der schwersten politischen Krise seit der Gründung des Bundesstaates. In Graubünden streikten die Angestellten der Rhätischen Bahn,271 was die Pfarrerstochter ­direkt zu spüren bekam und im Tagebuch festhielt. Heute morgen sagte Mama zu mir: «Greti, Du musst nach Chur laufen.» Ich antwor­tete: «Warum, ich kann doch mit dem Zug fahren, warum laufen?» «Es fährt eben keine Bahn, nur morgens und abends Militärzüge. Die Sozialisten streiken und die andern können allein auch nichts machen.» Also entschlossen sich Käti und ich, die Reise zu wagen. Als wir beide um Viertel nach zehn Uhr am «Znüni» sassen, – das Käti und mir das Mittag­essen ersetzen sollte – , hörten wir plötzlich viele Fuhrwerke vorbeifahren. Wir eilten ans Fenster und sahen Wagen, auf denen viele Soldaten sassen. Wir fragten nun, ob wir auch mitfahren dürfen. Sie liessen uns auf dem hintersten aufsitzen. Jetzt ging’s schnell nach Zizers hin. Dort wurde eine halbe Stunde Rast gemacht. Wir froren entsetzlich. Als sich der Zug wieder in Bewegung setzte, setzte sich auch noch ein betrunkener Mann auf die hintere Bank in unserem Wagen. (…) Als wir in Chur anlangten, stiegen wir ab und bedankten uns. Wir besorgten Papas Brief und Medizin und kauften uns zwei «Schilt» [vier helle Brötchen aneinander]. Dann begaben wir uns auf den Heimweg.272

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