Читать книгу Spurlos. Andrea Stamms zweiter Fall онлайн

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Andrea verliess das Zimmer leise. Im Korridor kam ihr ein Mann entgegen, leicht vorgebeugt mit unsicherem Schritt. Sein Blick glitt über den Boden, als klafften unter dem Linoleum versteckte Gletscherspalten. Er kam ihr bekannt vor, sie war ihm vielleicht schon begegnet, ein Hüttenwart oder Senn auf einer Alp. Sein rötlicher Bartkranz war zerzaust, ein Manchesteranzug schlotterte um seine Glieder. Sie sah sich um. Vor Anitas Zimmer blieb er stehen, klopfte. In der Hand trug er einen Bund Weidenkätzchen.

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Daniel erkannte sie sogleich, folgte ihr durch den Korridor, sein Mantel wehte offen. Er war versucht, ihren Namen zu rufen, hoffte, sie blicke sich um, doch sie schritt weiter, klein und hartnäckig wie immer. Er war sicher, dass sie es war, obwohl sie die Haare nun lang trug, zu einem Pferdeschwanz gebunden. Bestimmt sparte sie sich die Coiffeuse, sie musste immer sparen und würde auch noch sparen, nachdem sie einen Millionär geheiratet hätte. Das Karge und Einfache war ihr eingeprägt, wie ihre weiten und leichten Schritte und die etwas nach links abfallende Schulter, auf die sie, wie er wusste, einen blauen Schmetterling tätowiert hatte. Blue Mountain. Sie rauchte nicht, trank keinen Alkohol, fuhr einen angerosteten Cherokee Jeep; ihre Leidenschaft zeigte sich nur am Berg, sonst verbarg sie sich unter ihrer widerborstigen Kraft. Daniel war nicht sicher, was er von ihr wollte, sie hatte ihn auf schwierigen Routen geführt, sie hatten sich geküsst und einmal miteinander eine Nacht verbracht, in einer Hütte unter Wolldecken, eng umschlungen, aber vielleicht hatte er auch nur geträumt, sie hätten miteinander geschlafen. Seit seinem Unfall in Israel kletterte er nicht mehr, seit seiner Affäre mit Marit hatte er nie mehr mit einer Frau ein Verhältnis gehabt, von einem gelegentlichen One-Night-Stand abgesehen. Er folgte Andrea bis zum Foyer, sah sie durch die Flügeltür ins Freie treten. Auf dem Vorplatz beim steinernen Engel blieb sie stehen. Es schien, als denke sie darüber nach, was sie vergessen haben könnte. Er hoffte, sie kehre nochmals um, dann würde er sie begrüssen wie eine alte Bekannte, sie würden sich küssen, Erinnerungen austauschen, sich verabreden. Sie zögerte, zog ihr Handy aus der Tasche ihrer Windjacke, tippte eine SMS. Er war sicher, dass sie einen Freund hatte, eine Frau wie sie unter lauter Männern, die sie bewunderten, vielleicht den Manager, den sie einmal aufs Matterhorn geschleppt hatte. Daniel war noch immer eifersüchtig auf jenen Geck, auch wenn er sich sagte, dass er zuallerletzt Grund dafür habe. Doch für Gefühle, das wusste er, gab es keine Gründe, und keine Medizin half, wenn sie einen heimsuchten. So war das mit Marit gewesen, der Kollegin im Rabin Medical Center in Tel Aviv. Sie hatte ihn nach seinem Unfall zusammengeflickt.

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