Читать книгу Brief an meinen Sohn. Über die Liebe zu einem behinderten Kind онлайн

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Ich stehe im Garten und mache einige Turnübungen – der Rücken. Du bist schwerer geworden. Die Geräusche der Stadt sind hier oben fern genug, um nicht Lärm zu sein. Welch Privileg, mit so viel Luft zu wohnen. Noch schläfst du. Erst muss deine Schwester aufstehen. In eineinhalb Stunden macht sie sich auf den Schulweg. Dann weck ich dich.

Die Glocken sind verstummt. Ein Güterzug fährt Richtung Bodensee. Hörst du das Martinshorn? Erinnerst du dich, wie die Sirenen einst für dich kamen? Es ist lange her. Wie oft fuhren wir durch die Nacht. Immer wieder. Das blaue Licht reflektierte von den Fassaden, erhellte die Milchglasscheiben und mischte sich mit dem gedämpften Licht im Wageninnern. Diesen Innenraum, den man nicht kennen will. Den man von aussen kennt, der, grell bemalt, zu irgendjemandem fährt. Nicht zu einem selbst. Und dann akzeptiert man die Geborgenheit in seinem Innern, ist dankbar für die Rettung. Auch wenn ungewiss bleibt, ob es Rettung gibt. Man ist nicht alleine, die Verantwortung verteilt sich. Ru­hi­ge Profis. Ich hielt deine kleine Hand. Wenn sie irgendwo zum Vorschein kam. Als wieder Tag war, kam ein Rettungssanitäter aufs Spitalzimmer und schulte mich in Reanimation von Kleinkindern. Für alle Fälle. Für den Fall, der immer ist, Alltag. Du warst noch ganz klein, da muss man vorsichtig sein. Bei deinem kleinen Brustkorb, der feinen Lunge. Es ist gut, das zu lernen. Es ist ein Schock, dies für das eigene Kind zu lernen.

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