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Als Fräulein Heim um zwölf Uhr aus dem Büro auf die Straße trat, hatte sie den Eindruck, Spinnen webten ein dichtes Netz von Dach zu Dach. Im Gartenrestaurant, wo sie das Mittagessen einnahm, setzte sie sich unter einen roten Baum, der inmitten von grünen Bäumen stand. Sie äugte durch ihre große Brille und hatte dabei einen Ausdruck im Gesicht – nicht hart, nicht vulgär, aber furchtbar, als ob sie etwas Entsetzliches erlebt hätte. Ein junger Mann mit Pferdeaugen trat auf sie zu und fragte, ob der Platz neben ihr noch frei sei; Fräulein Heim bejahte, dann aber sah sie, dass der Mann den Stuhl, nicht den Platz meinte, denn er trug den Stuhl fort an einen andern Tisch. Fräulein Heim saß dort viele Stunden und rauchte. Sie dachte daran, dass Hirten die Gesichter von Tieren lesen können. Wer die Gesichter von Menschen liest, gerät manchmal ins Stottern. Die Fähigkeit von Fräulein Heim, Gesichter wiederzuerkennen, war sehr beschränkt. Sie stellte sich vor, dass es vielleicht leichter sei, Rosen vonein­ander zu unterscheiden als Menschen. Sie lebte jeden Tag nur für wenige Stunden oder Minuten; dann nahm sie Konturen wahr; den Rest des Tages, den größten Teil des Tages hing sie wie eine noch nicht abgebetete Perle eines Rosenkranzes im Leeren, wanderte fühllos, bis der Beter sie hochzog, zwischen die Fingerspitzen nahm und leicht drückte. An den gestrigen Tag zum Beispiel konnte sie sich nicht erinnern; sie wusste nur noch, dass am Abend die Menschen, darunter auch Kinder, von acht bis halb elf Arm an Arm, Rücken an Bauch am Brückengeländer und an beiden Ufern des Flusses standen und auf ein Feuerwerk warteten. Plötzlich erblühten und welkten große Bäume aus farbigem Licht.

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