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Die Frau lauschte schweigend; Schatten versenkten ihr Gesicht. Plötzlich hörte er ihre Stimme wie das Flüstern von Blüten im Wind: «Mein Haus ist meine Insel. In der Todesanzeige, die von Karls Arbeitgeber in der Zeitung veröffentlicht worden war, las ich: ‹Während über zwanzig Jahren hat Herr Wagner seine ganze Kraft und sein Können in den Dienst unserer Bank gestellt.› Nun erst begann ich zu weinen. Der Hass auf ihn und auf alle steigt manchmal in mir hoch wie Brechreiz, bleibt beim Herzen stehen und versetzt ihm Stöße.» Nach einer Weile setzte sie hinzu: «Siehst du den Mond? Er ist wie ein Katzenauge; einmal eng, einmal weit. Er belauert uns.» Sie saß ein wenig zur rechten Seite geneigt; den Arm hatte sie auf der Lehne des Sessels aufgestützt. Während der Gesprächspausen klemmte sie ihre Lippen zwischen Zeige- und Mittelfinger der mit der Innenfläche nach außen gedrehten Hand. Stämpfli Max erinnerte sich, dass sie vor ihrer Heirat Tänzerin gewesen war und als junges Mädchen den Ehrgeiz gehabt hatte, zu verhungern; dies war ihr als höchste Seligkeit erschienen. Sie war damals ein schönes Mädchen mit einer großen Nase, die sie aber später durch eine Operation verkleinern ließ, da Karl über die Nase gerne Witze machte. Nun hatte sie sich eingeschlossen in den Mauern der Nacht; keine Ritze, keine Luke ließ Licht hereinschimmern. Er erkannte sie nicht mehr. Er fühlte, dass sie dabei war, die Erinnerungen an einem geheimen Ort ihres Herzens zu verscharren. Die Bilder der Vergangenheit hatten ihm aus jener Welt geleuchtet, die klein ist wie das Nadelöhr und groß wie das Tor zum Paradies; diese Bilder hatten sein Herz erwärmt und erhellt und seinen Gedanken, die für einige Augenblicke leicht, ja, schwebend schienen, Süße verliehen. Nun herrschte Finsternis, und Kälte drang ins Zimmer.

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