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Heilig

Es ist kalt und neblig. Kleine Dachfenster mit rostigen Fens­terrahmen und magere Kamine beleben die Kulisse, die Vero­nika vom Gartenrestaurant aus betrachtet. Aus einem runden Betonbecken wächst Efeu, das ein fremder, roter Hund beschnuppert; er träumt davon, eine Herrin, die kleine Heilig mit den zu großen Augen, durch die Stadt zu ziehen. Außer Veronika und Heilig sitzt kein Gast unter den Bäumen. Das Restaurant befindet sich in einem Stadtteil, den Veronikas Mann nie aufsucht; als er dies erwähnte (ohne zu wissen, dass sie sich tagtäglich dort aufhält), klopfte ihr Herz glücklich und aufgeregt, was sie nicht verstand.

Jeden Tag wäscht Veronikas Mann sein erdnussfarbenes, schütteres Haar und pudert sein Gesicht. Er sammelt getrock­nete Patisserien, farbige Pillen und Kapseln in Gläsern, die Veronika abstaubt und hasst. Eine Tochter hat sie sich selber geschenkt; sie nahm das Kind in Pflege, dessen Name man ihr am Telefon mitteilte. «Heilig?», hatte Veronika verblüfft gefragt, «ist denn das ein Name?» – «Nein, Heil-wig», hatte man ihr lachend geantwortet. Während ihr Mann mit dem Staubsauger von Wohnung zu Wohnung zog, Teppiche reinigte, den entsetzten Hausfrauen ein Mittel gegen Teppichflöhe, die er in ihren gepflegten Räumen angeblich entdeckt hatte, anpries und den Staubsauger dazu, erwartete Veronika ihre Pflegetochter, die von der Schule kam, jeden Abend in diesem Gartenrestaurant. Sie tut dies heute zum letzten Mal; sie muss Heilig (wie sie das Kind nach jenem Missverständnis nennt) zurückbringen in eine dunkle Welt, wo Heilig von niemandem erwartet wird. Veronikas Mann erträgt Heilig nicht.

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