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Der Berg
Als der Journalist mit dem Pseudonym «Mimi» in die kleine Stadt zog, regnete es. Es regnete wochenlang; die kleine Stadt stand ohne Kulissen, nur mit Regenvorhängen drapiert, im Halbdunkel. Der Journalist, der eine spitze Feder führte und bald in der einzigen Tageszeitung regelmäßig eine Klatschspalte veröffentlichte, wurde rasch zum heimlichen Oberhaupt der kleinen Stadt. Es war nicht auszuschließen, dass er bald Redaktor sein würde. Er nahm zu an Gewicht, und namentlich die älteren und alten Damen betrachteten mit Wohlgefallen sein weiches, lockiges Haar. «Sie leben so sehr in der Realität!», jubelte einmal ein Fräulein, als Mimi sein Stammlokal betrat. Manche Herren zitterten heimlich vor Mimi.
Das Wetter besserte sich, und jetzt, da Sonnenlicht auf die Stadt fiel, sah Mimi, dass im Hintergrund ein hochmütiger Berg stand, der seinen Scheitel manchmal hinter einem dünnen Schleier verbarg. Er spielte nicht mit den weißen Wolken, die um ihn herumtanzten, und die andern Berge buckelten vor ihm und schauten niemanden an als ihn. Mimi, der von seinen Lesern gemästet schien, begann an seelischen Verstimmungen zu leiden. Er unternahm lange Autofahrten oder ging auf dem äußersten Rand des Gehsteigs wie auf einem Seil. Immer deutlicher wurde in ihm die Vorstellung, er müsse sich einigen Bergsteigern nähern und sie fragen, ob er mit ihnen zusammen den Berg bezwingen dürfe. Er hätte beim Berg ein- und ausgehen mögen, doch auch wenn er mit der Zahnradbahn in seine Nähe gelangte, wurde seine sonderbare Unruhe nicht gestillt. Er kaufte sich Bergschuhe, dann eine ganze Bergsteigerausrüstung. Die Bergsteiger lachten ein wenig über ihn, doch nahmen sie ihn mit und anerboten sich, ihm zu helfen, bis zum Scheitel des Berges hochzuklettern; von dort würde er auf die kleine Stadt hinunterblicken können.