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Der Wind zerrt eine finstere Wolke auseinander, und Hannes sieht für einen Augenblick die Sonne, die einbusige Mutter, deren warme Milch in die Erde sickert und flimmernd über den Asphalt fließt; die Sonne ruht auf hellen Kissen und wird geliebt, ohne es zu ahnen, denn sie ist blind, taub und ohne Gefühl.
Hannes stellt sich vor, die Wohnung sei ein Blumenkelch, die Mutter eine Wespe und er ein Bienchen; schläfrig krabbelt er über den Teppich, rollt sich auf den Rücken und blinzelt in einen süßen, weichen Bilderbuchhimmel, der die Lampe mit den falschen Kerzen verdeckt.
Die Mutter geht durchs andere Zimmer; er hört ihren nervösen Schritt – nun bleibt sie stehen. Bald wird die Nähmaschine surren; neugierig dreht er den Kopf und sieht durch die geöffnete Tür, wie sie nach der Schere greift; sie hält inne und starrt gegen die Wand. Lange Sekunden steht sie so; das tut sie oft, dann hat Hannes Angst und verhält sich still. Nach einer Weile setzt sich die Mutter auf den Stuhl neben der Schneiderpuppe. Fassungslos betrachtet sie wieder die Wand, vor welcher Hannes überlebensgroß zu sehen gewesen war – ein verstörtes, kniendes Kind, über dessen Stirne Blut rann.