Читать книгу Fern von hier. Sämtliche Erzählungen онлайн

20 страница из 163

Sie entgeht ihm nicht; wenn sie sich von ihm abwendet, holt er sie ein wie eben jetzt, und in der Nacht rollt er aus ihr als endloser Filmstreifen; anhand der Bilder kann sie seine schlaftrunkenen Seufzer und sein leises Aufschluchzen deuten.

Das Bild vor der für einige Augenblicke aufgelösten Wand ist in sie hineingesunken.

Hannes schläft im Esszimmer auf der Couch, wo er seine Welt, der ihren gegenüber, hütet. Wenn er die Puppe mit dem Stoffbauch schlägt oder liebkost, wenn er verträumt über den Bilderbüchern sitzt oder zornig sein sorgsam aufgebautes Schloss zerstört, möchte sie aufschreien; die Zärtlichkeit und das verzweifelte Sichwehren des einsamen kleinen Menschen tun ihr weh, die Bilder in den Büchern aber entführen ihn; fern von ihr hüllen sie ihn ein mit einer Liebe und Güte, wie sie vielleicht Engel kennen. Immer wieder erinnert sie sich an jenen Tag, als Hannes beinah zwei Jahre alt war und Robert am Telefon gesagt hatte: «Er oder ich. Gib den Bastard in ein Heim, dann wird alles gut. Wir werden heiraten, und du wirst von mir einen Sohn haben, mit dem sich dieser widerliche Balg nicht wird messen können.» Sie antwortete nicht und hängte den Hörer auf, doch einige Minuten später, als sie die Windeln des Kleinen in der Küche wusch, wurde sie von einem sonderbaren Krampf geschüttelt. Sie rannte mit tropfenden Händen ins Zimmer und sah den leeren Blick des Kindes, in dem sich Erstaunen, dann ein Lächeln ausbreitete, als sie ihr Entsetzen und ihre Wut hinausschleuderte, wie man einen Stein in ein ruhiges Wasser wirft. Hannes verstand den Sinn ihres zur Fratze verzerrten Gesichts noch nicht, hielt ihre Raserei vielleicht für Scherz und schmun­zelte, wie er es beim Anblick eines unbekannten Tieres getan hätte. Eine unschuldige, ihr unverständliche Heiterkeit, ein fremdes Paradies leuchtete in seinen Augen. Außer sich schlug sie zu; sein Kopf stieß gegen den Türrahmen. Als er sich weinend an ihr Bein klammerte, riss sie ihn weg und warf ihn in eine Ecke, wo er wimmernd liegenblieb. Sie fühlte ihre Knochen wie zu einem Brei auseinanderfließen, und der Geruch und die grobe Wolle des Teppichs füllten ihren Kopf, dann wurden diese Empfindungen kleiner und verschwanden – als sie zu sich kam, lag sie auf dem Rücken und blickte in entsetzt aufgerissene Augen; das bleiche Gesicht des Kindes war nass von Tränen und aus seinem Haar sickerte Blut.

Правообладателям