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Da Otto am Montag nicht zur Arbeit erschien, telefonierte Herr Weinwild der Mutter des Lehrlings und erfuhr, dass Otto der Polizei als vermisst gemeldet worden war. Ottos Mutter, die ihren Kummer gewohnheitsmäßig im Alkohol ertränkte, erklärte, der missratene Sohn sei vermutlich mit seiner Freundin, einer geschiedenen Frau, durchgebrannt.

Als Otto auch in der Woche vor den Lehrabschlussprü­fungen nicht zurückgekehrt war und also nicht beabsichtigte, seinem Lehrmeister durch glänzende Prüfungsnoten Ehre zu erweisen, begann Herr Weinwild, der allein lebte, an son­derbaren «Zeitverschiebungen», wie er es nannte, zu leiden. So sah er zwei schwarze Schwäne aus früherer Zeit, die sich auf dem spiegelnden Linoleumboden seines Schlafzimmers paarten, während er nach dem Bad mit dem in einem Pantoffel steckenden Fuß die abgeschnittenen Zehennägel unter sein Bett schob. Er konnte sich solche und ähnliche Störungen nicht erklären.

Da er sich in den vergangenen drei Jahren stärker mit Otto als mit sich selber beschäftigt hatte, bemerkte er erst jetzt, dass der frühere Herr Weinwild abhandengekommen war. Das hieß, dass man ihn – wie Otto – als vermisst hätte betrach­ten müssen. Da er aber annahm, dass die Leute ununterbro­chen den Herrn Weinwild, den sie in Erinnerung hatten, erleben wollten, kopierte er jenen genau. Er erschien weiterhin einige Minuten früher als seine Arbeitskollegen im Atelier und verließ es einige Minuten später als sie, und er arbeitete wie gewohnt an den Samstagen. Es war aber nicht leicht, Herrn Weinwild so echt zu zeigen, wie sich die Schwäne ge­­­zeigt hatten. Es kamen immer wieder Fehler vor. So fiel es Herrn Weinwild auf, dass er in der letzten Zeit den Satz: «Aber ich habe gemeint …» öfter als sonst aussprach; er sagte deshalb zu sich selber mehrmals warnend, vielleicht drohend: «Du weißt, wer meint!» Einmal drehte er am Arbeitsplatz die Kurbel einer kleinen Spieldose, die er Otto nie zu schenken gewagt hatte, und rief: «Musik für schwungvolle Leute!» Die Arbeitskollegen lächelten.

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