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Auch in den Nächten knatterte der Wind pausenlos über unsichtbare Straßen; die Vorhänge vor den geschlossenen Fenstern bewegten sich und das hastige Klopfen des Weckers neben der Kerze schien Fränzis Herz nachzuäffen. Die Mutter schlief nicht; Fränzi sah ihre komische, kurze und spitze Nase, die die schmalen Lippen überdachte, doppelt: an der Wand als graue Tuschmalerei und über der Bettdecke pfir­sich­farben. Viele Kerzen und viel Petrol brauchte man in solchen Nächten, in denen neben dem Hut am Haken mit dem darübergeworfenen Kopftuch ein stumpf erstauntes, zungenzeigendes Froschgesicht an der Wand erschien, das davonschwamm, wenn der Morgen kam.

Manchmal flüsterte Fränzi: «Mama, wann fahren wir nach Hause?», dann hob die Mutter den Kopf von ihrem Buch und sagte: «Schlaf.»

Aber es war schwierig, den Schalter für den Schlaf zu finden, wenn man draußen das rhythmische Rauschen und Summen hörte – als ob der Wind mit einem riesigen Wasserfall spielen würde. Manchmal krachte die Tür, und Fränzi stellte sich schaudernd vor, wie der Wind im Kamin in der Küche miaute. Wenn der Schlaf die Hand auf ihr vor Angst kaltes Gesicht legte, sah sie zwischen seinen Fingern auf dem Nachttisch Disteln in einer Flasche, die vor einem grauen Distelbaum standen, der die Wand hinaufgewachsen war und sich an der Decke über Fränzi und die Mutter beugte; vielleicht war es auch ein Sternbaum – die Nacht war voll glitzernder Sternbäume, an deren Äste der Wind turnte als Affe ohne Pelz; er besaß eine narbige Lederhaut und schwamm von Baum zu Baum. Er hatte das Brüderchen geholt, das im Meer ertrunken war, und trug die Leiche als Gürtel um seinen Bauch. Vom Brüderchen standen Fotografien im Esszimmer; es hatte einen großen Kopf mit braunem Haar und lachte gern. Sein Lachen schien immer noch in den Wänden des Hauses, das vor dem Tod des kleinen Martin nur ein Ferienhaus gewesen war, verborgen zu sein; wenn Fränzi lauschte, hörte sie es leise klingen – wie aus weiter Ferne; ob die Wände in die Ferne gerückt waren?

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