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Sabel

In wenigen Tagen würde Sabel – eigentlich hieß sie Isabelle wie die Mutter – mit den Eltern und vier jüngeren Geschwis­tern in eine Notwohnung eingewiesen werden; in eine der Baracken am Fluss, wo auch das dunkelhäutige Mädchen lebte, dessen Namen sie nicht kannte. Das Haus, in dem sie wohnten, wurde abgerissen.

Sabel hatte stets entzündete, geschwollene Augenlider; man hatte den Eindruck, sie könne die hellen Augen auch von unten her schließen. Sie stellte sich vor, dass sie kein Kind wäre, sondern eine in ein Kind verwandelte Erwach­sene. Während Kinder wie die Dunkelhäutige sich schützen konnten, weil sie niedlich und drollig wirkten und bei Er­wach­senen Zärtlichkeit hervorriefen, war Sabel – so fand sie – ein kleines Scheusal, nicht weniger hässlich als die Groß­mutter der Mulattin, deren roter Rücken im Sommer faltig über das hinten weit ausgeschnittene Badkleid hinunterhing. Der Gedanke, die drei großen Zimmer mit der vergilb­ten Tapete, den hohen Fenstern und den knarrenden Türen für immer verlassen zu müssen, in welchen sie nun ein Jahr lang gelebt hatten, verursachte Sabel Schwindel und Angst, auch war es keine Beruhigung, die Schwarze nun ganz in der Nähe zu haben; sie hatte noch nie mit ihr gesprochen und fürchtete sich, sie wirklich kennenzulernen, denn sie hatte ein blitzendes, unbarmherziges Lachen. Gerne wäre Sabel stumm zur Welt ge­kommen; am liebsten saß sie auf einem Stuhl und dachte sich Handlungen aus, in deren Verlauf das dunkle Mädchen von ihr vor dem Tode errettet und dann auf unklare Weise angebetet wurde, indem sie ihm überallhin folgte, alles tat, was es befahl, sogar stahl und schließlich sei­netwegen starb.

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