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Manchmal sah sie im Traum Martin wie das lahme Kind auf Händen und Füßen auf einem steinigen Weg; ihr Herzschlag setzte aus, doch plötzlich richtete er sich auf und kam zu ihr gerannt; sie sah sein liebes, lachendes Gesicht ganz nah, blickte in seine Augen wie in weit geöffnete Blumenkelche und drückte seinen kleinen Körper an sich, doch dann schien jemand ihr Herz mit zwei Nadeln auseinanderzuzie­hen; der Schmerz ließ sie erwachen und sie wusste, dass Martin tot war und weinte lautlos, fast ohne die geöffneten Lippen zu verzerren.

Im Himmel leuchtete die Sonne wie ein runder Gott, den der Priester über dem Altar zeigte. Winde rasten vorbei und läuteten im Wasser, das die Mutter in einem irdenen Krug von der Zisterne zur Küche trug. Im tiefen Brunnen schwamm seit vielen Tagen eine tote Eidechse; die kleine Leiche ruderte mit dem Schwanz und den Füßen, sooft der Eimer ins Wasser tauchte; das wirkte ungehörig. Stieß man mit dem Eimer nach ihr, schwamm sie davon.

Fränzi hasste die tote Eidechse, die so tat, als lebte sie noch, und die sie nur einmal gesehen hatte, da die Mutter ihr nicht erlaubte, Wasser zu holen; das Heraufziehen des Eimers und Tragen des Kruges hätte die Kräfte des schmächtigen Kindes überfordert. Selbst das Heben des hölzernen Deckels gelang Fränzi kaum; der Wind versuchte ihn ihr aus der Hand zu reißen. Die Mutter war zum ersten Mal seit der Beerdigung des Brüderchens ins Dorf gegangen, um einen Brief an ihre Schwester einzuwerfen; sie gedachte, mit Fränzi in einer Woche nach Hause zu fahren – dann war es ein Jahr her seit Martins Tod. Vorher aber wollte Fränzi versuchen, mit dem Eimer die Eidechse hochzuheben; die Mutter hatte es schon einige Male probiert, doch immer war das tote Tier ihr entwischt.

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