Читать книгу Fern von hier. Sämtliche Erzählungen онлайн

80 страница из 163

Der Journalist wundert sich schon seit einiger Zeit, dass es Wirte gibt, die wie Wirte, und Briefträger, die tatsächlich wie Briefträger aussehen; er war auf Maskeraden gefasst und musste erleben, dass Menschen ihr Inneres wirklich nach außen stülpen und dass ihr Inneres sich im Außen bewährt. Der Journalist kennt auch mindestens drei Krankenschwes­tern, die das Aussehen von Krankenschwestern haben. Auch viele Lehrer erfüllen die Erwartungen, die man in sie setzt. Der Journalist selber hat diesbezüglich Schwierigkeiten, denn wenn er sein Inneres nach außen stülpte, hüpften wir, seine Mitmenschen, vor Entsetzen in großen Sprüngen da­von. Es ist nun überhaupt eine mühselige Zeit für den Journalisten, weil er sich nicht anmerken lassen will, dass manche der ihm im Laufe der Jahre liebgewordenen «Sachen», wie er sie nennt, ihre Bedeutung geändert haben; er kann nicht mehr über sie bestimmen, weil er sie nicht erkennt. (Unter «Sachen» versteht der Journalist zum Beispiel Geigen und Heißluftballone, Vorwürfe und Spott, Bücher und Scherenschnitte.) Die meisten Sachen bleiben für ihn zwar wie von jeher beinah bedeutungslos, aber jene, die ihm früher vertraut waren, zu denen er einen engen, freundschaftlichen Kontakt herstellen konnte, verweigern und verschließen sich, indem sie ihren Ausdruck ändern. Auch die Möglichkeiten, die sie immerhin offenließen, sind jetzt in Frage gestellt. Vor allem befremdet es den Journalisten, dass zwischen ihnen Übereinstimmung herrscht. Eine Frauenstimme singt zum Beispiel im Radio einen Schlager mit dem Refrain «Der Mann mit Pfiff», während der Journalist ein Zitat Hitlers liest, der in seiner Sehnsucht nach einem neuen Reich geschrieben hat: «In den Anfängen unserer Geschichte ist es Brauch gewesen, dass germanische Frauen jeden zurückweichenden Krieger erschlugen. Diesen feigen Deserteuren gebührt der Hass, die Verachtung und die Wut der deutschen Frau. Das soll jede Frau wissen, danach soll sie sich auch richten.» Noch vor einem Jahr wäre es unmöglich gewesen, dass Hitler sich mit der Schlagersängerin in Verbindung gesetzt hätte. Jetzt fühlt sich der Journalist übergangen und machtlos, weil Hitler sogar mit dem Texter des Schlagers und mit dem Regie führenden Mann beim Radio ein Komplott gebildet hat. Hitler nähert sich dem Journalisten auf eine neue Art und Weise, gegen die er nicht ankämpfen kann. Auch der Psychiater, den der Journalist wegen seiner Angst aufsuchte, ist an einem Komplott beteiligt, über das der Journalist nichts Genaues weiß. Der Psychiater fragte nämlich: «Weshalb sprechen Sie nicht mit Ihrer Frau darüber?» und zwang so den Journalisten, mit dem Bekenntnis eines ihm unbekannten Schriftstellers zu antworten, das er im Wartezimmer zehn Minuten vorher in einer illustrierten Zeitschrift gelesen hatte: «Viel Arroganz und eine Art, die Dinge halb ausge­spro­chen zu lassen, machen mich unsympathisch.»

Правообладателям