Читать книгу Ein Bruder lebenslänglich. Vom Leben mit einem behinderten Geschwister онлайн

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Wir Kinder waren von nun an in zwei Kategorien aufgeteilt, der Bub und die Mädchen. Dass unsere Mutter uns Mädchen immer im Kollektiv ansprach, hatte wohl auch den Grund, dass sie in ihren jungen Jahren Ferienlager geleitet hatte und die Familie wie ihr privates ­Ferienlager führte.

Die Säuglingsschwester hatte unserer Mutter eingebläut, man solle den kleinen Kronprinzen ja nicht verwöhnen. Die Eltern hätten es in der Hand, ob aus einem kleinen Jungen später ein Tyrann werde. Die Mutter solle den Jungen nachts schreien lassen. Das sei gut für seine Lungen und mache stark. Und so schrie der kleine Bruder die Nächte durch. Die Mutter stellte das Kinderbettchen in die ­Stube, damit der Vater nicht gestört wurde. Er hatte ja tagsüber seinem anspruchsvollen Beruf als Revisor nachzugehen. Aber jetzt konnte die Mutter gar nicht mehr schlafen, weil sie nichts mehr von ihrem Söhnchen hörte. Ob es wohl noch atmete? Immer wieder musste sie sich vergewissern, ob es noch lebte. Sie beschloss, das Ehegemach zu verlassen und zum kleinen Schreihals in die Stube zu ziehen. Irgendeinmal hörte dann das nächtliche Schreien auf. Unser Bruder hatte sich wohl an sein neues Erdendasein gewöhnt. Davon gingen wir aus.

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