Читать книгу Die schiere Wahrheit. Glauser und Simenon schreiben einen Kriminalroman онлайн

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Die kleine Dame im Liegestuhl schloss seufzend die Knöpfe ihrer selbstgestrickten Jacke, die sie ein paar Minuten zu­vor erst aufgeknöpft hatte, holte die Brille aus der Jackentasche und schlug das Buch auf ihren Knien auf.

Heute war das Umblättern ein regelrechter Machtkampf mit dem Wind. Er rüttelte dermaßen an den Seiten, dass man das Buch mit beiden Händen fest umklammern musste. Was Amélie Morel las, hätte einen zufällig vorbeikommenden Spaziergänger höchst erstaunt, wäre sein Blick auf die seltsamen Illu­strationen im Buch gefallen. Ein aufgeschnittener Augapfel, ein gehäuteter Arm mit Knochen und Sehnen, ein trauriges Herz mit abgeschnittenen Gefäßen, roten und blauen … Die Dame las und blätterte konzentriert im gewichtigen Anatomiehandbuch von Poirier, zwar eine alte Ausgabe, aber der menschliche Körper war ja derselbe wie vor vierzig Jahren, nicht wahr.

Es hatte einmal Onkel Fernand gehört. Ein kleiner Landarzt, aber er besaß ein Regal voller medizinischer Fachbücher, die er stolz seine Bibliothek nannte. Niemand wusste nach sei­nem Tod etwas damit anzufangen, so gelangten die Bücher in Amélie Morels Besitz. Wenn überhaupt, würden die Bücher vielleicht ihr als Krankenschwester von Nutzen sein. Und wie sie das waren! Hätte Amélie ein halbes Jahrhundert später gelebt, wäre aus ihr bestimmt ein Fräulein Doktor geworden. Aber zu ihrer Zeit kam keiner auch nur im Entferntesten bei einem Mädchen auf eine solch absurde Idee, ganz abgesehen davon, dass auf dem Land keiner studierte, das war für die fei­nen Leute in der Stadt.

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