Читать книгу Katholisch und Queer. Eine Einladung zum Hinsehen, Verstehen und Handeln онлайн

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Als ebenso scheinheilig erweisen sich immer wieder konservative Reinigungsfantasien, etwa weil sie ihren eigenen Maßstäben nicht gerecht werden, oder weil sie Menschen gegeneinander ausspielen wollen, anstatt im Sinne des Glaubens bescheiden und barmherzig zu bleiben. Ich erwarte nicht, dass die Kirche beliebig wird und ihre Lehren einfach umwirft – im Gegenteil. Aber ich erwarte mehr Differenzierung und Bescheidenheit und eine Auseinandersetzung damit, was Katholizität in der Moderne bedeuten kann, anstatt gegen die Moderne. Gerade in einer Zeit, in der viele Menschen den Zugang zu letzten Fragen im Alltag nicht mehr finden und ihr oft nur indirekt verspürtes Sehnen nach Antworten in Lifestyle ertränken, entspräche dies einem missionarischen Geist.

Ich sorge mich zudem um jene Priester (es gibt genug von ihnen), die sich in der Seelsorge aufreiben, auch queeren Menschen Perspektiven eröffnen und darin – und nicht nur darin – von den Strukturen und der Lehre alleingelassen werden, während sie in der Öffentlichkeit dennoch als Personal einer „überkommenen Institution“ wahrgenommen werden. Sie sitzen zwischen allen Stühlen. Kein Wunder, dass so viel über Einsamkeit, Depression und sonstige seelische Verletzungen im Klerus geredet wird, nicht nur unter denjenigen Priestern, die (was ja oft kein Geheimnis ist) selbst schwul sind. Und kein Wunder, dass kaum jemand noch dieses Kreuz auf sich nehmen will. Das mag in anderen Gegenden der Welt (noch) anders sein, aber die Antwort, dass Europa eben „entgottet“ sei und man da nichts ändern könne, scheint mir ähnlich nihilistisch wie die banal atheistische Position, dass man religiöse Fragen endlich ad acta legen sollte. Der zur Schau gestellte Fundamentalismus ist sehr viel moderner, als viele „Tradis“ wahrhaben wollen, er spiegelt entgegengesetzte Extreme. Unser Glaube mag nicht von dieser Welt sein, die Kirche ist es. Dies zu leugnen, scheint mir bigott.


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