Читать книгу Katholisch und Queer. Eine Einladung zum Hinsehen, Verstehen und Handeln онлайн
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Seit meinem Coming-out (vor mir selbst) hat sich meine innere Haltung diesbezüglich Schritt für Schritt gelöst und ich habe mehr Zutrauen in Gott gewinnen können. Das war kein Selbstläufer, es brauchte Zeit und ist bis heute nicht abgeschlossen. Zweifel, Angst und das Hadern mit mir selbst kommen immer mal wieder. Dennoch verstehe ich inzwischen klarer, dass die christlichen Texte und Lehren nicht eindeutig sind und immer wieder neu gedeutet und im Gebet erforscht werden müssen. Großartige Seelsorger leben dies vor und es sind beglückende Momente, wenn dies in Predigten, Gesprächen oder auch in Gesten deutlich wird.
Durch meine geistige Öffnung habe ich zwar zugleich ein entspannteres Verhältnis bezüglich offizieller kirchlicher Positionen und dem oft irritierenden Gebaren von mit der Kirche assoziierten Personen hinsichtlich Homosexualität und Co. gewonnen. Ich verteidige die Kirche zumeist gegen Kritik, weil ich daran glaube, dass das „Haus des Herrn“ weit ist und gerade dies die katholische Kirche stets ausgemacht hat. Ich muss aber auch gestehen, dass eine gewisse Abgeklärtheit dabei eine Rolle spielt, da ich um genügend Fälle gelebter Bigotterie in der Kirche weiß, in Priesterseminaren und Leitungspositionen, in Gemeinden und sonst wo (das gilt nicht bloß für Deutschland), sodass ich mir oft sage: Wenn die Kirche so lebt, dann kann mein kleines Leben keine schwerere Sünde darstellen und ich kann zumindest auf Gottes Gnade hoffen. Und das ist im Grunde eine betrübliche Haltung, die, denke ich, nicht selten ist: Das Volk Gottes wird sarkastisch oder zynisch angesichts einer Dogmatik, welche die Institution selbst in ihrer Praxis beständig konterkariert, sei es beim Zölibat, in der Frage des Umgangs mit Missbrauch oder in sonstigen Punkten. Nach dem Motto: Das „Bodenpersonal“ ist ja eh korrumpiert, ich suche mir eine Gemeinde, in der mir alles passt und ignoriere die Kirche beziehungsweise verlasse sie gleich ganz. Dieses „leben und leben lassen“ ist mehr Ausdruck von Bräsigkeit als von Toleranz oder gar Offenheit.