Читать книгу Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie – Studienausgabe. Herausgegeben und ergänzt um Aufsätze, Primärbibliographie und Nachwort von Matthias Bormuth und Martin Vialon онлайн

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Wir kehren hier noch einmal zur semantischen Untersuchung zurück und fragen, wie figurafigurafigura bei den Kirchenvätern zu seiner neuen Bedeutung bei den KirchenväternKirchenväter gekommen ist. Die ältesten Schriften der altchristlichen Literatur sind griechisch geschrieben, und das Wort, das dort zumeist für «RealprophetieRealprophetie» gebraucht wird – z. B. im Barnabasbrief – ist τύποςτύπος. Dies führt zu der Vermutung – die vielleicht dem Leser schon bei einigen unserer Zitate, etwa den LactanzLactanzstellen, gekommen sein mag –, daß figurafigura unmittelbar aus seiner allgemeinen Bedeutung «Bildung», «Formung», «Gestalt» zu seinem neuen Inhalt kam, und in der Tat legt der Sprachgebrauch gerade bei den ältesten lateinischen Kirchenschriftstellern dies nahe: wenn etwa häufig von Personen oder Ereignissen des ATAltes Testament gesagt wird, daß sie figuram Christi (ecclesiae, baptismi etc.) gerunt oder gestant, daß das jüdische Volk in allem figuram nostram portat, daß die Heilige Schrift figuram delineat futurorum, so läßt sich figura in diesen Sätzen ohne weiteres mit «Gestalt» übersetzen. Doch sogleich mischt sich auch die σχῆμασχῆμα-Vorstellung der bildlich-rhetorischen Umschreibung, der Verhüllung und Verwandlung hinein, ja sogar der Täuschung, wie dies alles die vorchristliche Dichtung und Beredsamkeit ausgebildet hatte. Der Gegensatz figurafigurafigura bei den Kirchenvätern und veritasveritas, das Deuten (exponere) und Enthüllen (aperire, revelare)30 der Figuren, das Gleichsetzen von figura mit umbraumbra, von sub figura mit sub umbra (etwa ciborum oder allgemeiner legis, unter welcher figura etwas anderes, Zukünftiges, Wahres verdeckt liegt) – das alles zeigt in dem neuen Gestaltbegriff figurafigura, der eine praefiguratio ist, das Weiterleben des rhetorisch-bildlichen Gebrauchs, nur daß er aus der rein nominalistischenNominalismus Welt der Rednerschulen und aus dem halb spielenden Mythos OvidsOvid ins Wirkliche und zugleich Geistige, also ins Eigentliche, Bedeutende und Existentielle gelangt ist. Auch der Gegensatz zwischen den Wort- und den Inhaltsfiguren, den wir bei QuintilianQuintilian trafen, ist in der Unterscheidung von figurae verborumfigurafigurae verborum, figurae senentiarum, prophetischen Worten, Gleichnissen u.ä. und figurae rerumfigurae rerum, eigentlichen RealprophetienRealprophetie, wiederaufgenommen worden. Zugleich ist der Pendelausschlag der potestas verbi auf der neuen Grundlage recht weit geworden. Wir finden figura als «tiefere Bedeutung» etwa bei SeduliusSedulius (ista res habet egregiam figuram. Carm. pasch. 5, 348f.) und bei LactanzLactanz (oben S. 454); als «Täuschung» oder «täuschende Gestalt» (FilastriusFilastrius 61, 4 sub figura confessionis christianae «indem sie vorgeben, Christen zu sein», oder Sulpicius SeverusSulpicius Severus de vita b. Martini 21, 1 vom Teufel sive se in diversas figuras spiritalis nequitiae transtulisset, oder Leo MagnusLeo d. Große epist. 98, 3, PL 54, 955 A, lupum pastorali pelle nudantes qua prius quoque figura tantummodo convincebatur obtectus); als «leere» oder «täuschende Redensart», «Ausflucht» (per tot figuras ludimur, PrudentiusPrudentius, peristeph. 2, 315, oder RufinusRufinus, apol. adv. Hier. 2, 22 qualibus [Ambrosium] figuris laceret); auch als «Rede» oder «Wort» schlechthin (te … incauta violare figura, Paul. Nol. carm. 11, 12); und schließlich auch in Abwandlungen der neuen Bedeutung, die eine angemessene Übersetzung kaum gestatten: in der Dichtung de actibus apostolorum des Subdiakons AratorArator (Subdiakon), aus dem 6. Jahrhundert, PL 68, finden sich die Verse tamen illa figura, qua sine nulla vetus (i. e. Veteris Testamenti) subsistit littera, hac melius novitate manet (2, 365); und etwa aus gleicher Zeit stammt eine Stelle aus den Dichtungen des Bischofs Avitus von VienneAvitus v. Vienne (carm. 5, 254, MG Auct. ant. VI, 2),31 wo vom Jüngsten Gericht die Rede ist: wie Gott bei der Tötung der Erstgeburt in Ägypten die mit Blut bestrichenen Häuser verschont hat, so möge er dann auch die Gläubigen an dem Zeichen der Eucharistie erkennen und verschonen: Tu cognosce tuam servanda in plebe figuram. – Es ist zuletzt auch noch darauf hinzuweisen, daß neben dem Gegensatz von Figur einerseits und Erfüllung, Wahrheit andererseits noch ein anderer Gegensatz, der zwischen figurafigura und historiahistoria, auftritt; historia, oder auch litteralittera, ist der Wortsinn bzw. das durch ihn erzählte Ereignis, figurafigurafigura bei den Kirchenvätern ist derselbe Wortsinn oder das Ereignis in bezug auf die darin verhüllte zukünftige Erfüllung, und diese selbst ist veritasveritas, so daß also figura hier als mittlerer Terminus zwischen littera-historia und veritas erscheint. Hier ist figura etwa gleichbedeutend mit spiritusspiritus oder intellectus spiritalisintellectus spiritalis, wofür zuweilen auch figuralitas gesetzt wird, wie in der folgenden Stelle aus der Continentia Vergiliana von FulgentiusFulgentius (90, 1): sub figuralitate historiae plenum hominis monstravimus statum. Natürlich können figura und historiahistoria oft für einander eintreten (ab historia in mysterium surgere, sagt Gregor der GroßeGregor d. Große in Ezech. 1, 6, 3), und späterhin bedeuten sowohl historiare wie figurare «bildlich darstellen», «illustrieren», das erstere jedoch nur im Wortsinn, das andere daneben auch übertragen «allegorisch deuten».32

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