Читать книгу Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie – Studienausgabe. Herausgegeben und ergänzt um Aufsätze, Primärbibliographie und Nachwort von Matthias Bormuth und Martin Vialon онлайн

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Dabei ist noch etwas anderes zu bedenken, was bei der späteren großen Ausbreitung des Christentums besonders im Westen und Norden der Mittelmeerländer von Bedeutung wurde. Das ATAltes Testament verwandelte sich, wie wir sagten, durch die FiguraldeutungFiguraldeutung aus einem Gesetzbuch und einer Volksgeschichte Israels in eine Reihe von Figuren Christi und der Erlösung, wie wir sie später in der Prophetenprozession des mittelalterlichen Theaters oder in den zyklischen Darstellungen der mittelalterlichen Plastik in West- und Mitteleuropa antreffen. In dieser Form und in diesem Zusammenhang, aus dem das Volksgeschichtliche und Volkstümliche des Jüdischen verschwunden war, konnten etwa die keltischen und germanischen Völker das AT aufnehmen; es war ein Bestandteil der allgemeinen Erlösungsreligion und ein notwendiges Stück in der ebenso großartigen wie einheitlichen Vision der Weltgeschichte, die man ihnen zugleich mit dieser Religion übermittelte. In seiner ursprünglichen Gestalt, als Gesetzbuch und Geschichte eines so fremden und fernen Volkes, wäre es ihnen unzugänglich geblieben. Dies ist freilich eine nachträgliche Erkenntnis, die wohl außerhalb des Gedankenbereichs der ersten Heidenapostel und KirchenväterKirchenväter liegt. Sie wurden auch nicht so bald auf das Problem gestoßen, da die ersten Heidenchristen zwischen den Juden der Diaspora lebten und sich, bei dem bedeutenden Einfluß derselben und der großen Aufnahmefähigkeit der damaligen hellenistischen Bevölkerung für religiöse Erfahrungen, längst mit jüdischer Geschichte und Religion vertraut gemacht hatten. Aber der Gesichtspunkt ist darum, weil man ihn nur rückschauend erkennen kann, nicht weniger wichtig. Das ATAltes Testament als jüdische Geschichte und jüdisches Gesetz ist im europäischen Christentum erst sehr spät, wohl erst nach der ReformationReformation, lebendig geworden; zunächst kam es als figura rerum oder Realprophetie, als Vorgeschichte Christi zu den neu bekehrten Völkern und vermittelte ihnen dadurch einen Grundbegriff der Weltgeschichte, der eben durch seine genaue Verknüpfung mit dem Glauben überaus eindringlich war und der fast ein Jahrtausend der einzig gültige blieb. Dadurch aber mußte die in der Figuraldeutung enthaltene Auffassungsweise zu einem der wichtigsten Aufbauelemente ihres Wirklichkeits- und Geschichtsbildes, ja ihrer Sinnlichkeit überhaupt werden. Diese Überlegung führt uns zu der zweiten der im Anfang des Kapitels gestellten Aufgaben, nämlich zu einer schärferen Bestimmung der Figuraldeutung und zu einer Abgrenzung derselben gegen andere verwandte Deutungsformen.

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