Читать книгу Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie – Studienausgabe. Herausgegeben und ergänzt um Aufsätze, Primärbibliographie und Nachwort von Matthias Bormuth und Martin Vialon онлайн

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Doch mit Einzelinterpretationen ist die Bedeutung der Figuralauffassung nicht erschöpft. Wie sie der Geschichtsdeutung des Mittelalters die allgemeine Grundlage gibt, ja wie sie vielfach auch in die Erfassung der einfachen Alltagswirklichkeit hineinspielt, wird keinem, der mittelalterliche Studien treibt, verborgen bleiben. Der ganze Analogismus, der in alle Gebiete mittelalterlicher Geistestätigkeit hineinreicht, ist aufs engste mit der FiguralstrukturMittelalterFiguraldarstellung im MA verknüpft; der Mensch selbst, als Ebenbild Gottes, gewinnt in der Trinitätsdeutung, von AugustinAugustinus de trinitate bis etwa zu Thomas STh 1, 45, 7 den Charakter einer figura trinitatis. Nicht ganz deutlich ist es mir, wie weit die ästhetischen Vorstellungen figural bestimmt sind – wie weit also das Kunstwerk als figura einer noch unerreichbaren Erfüllungswirklichkeit aufgefaßt wird. Die Frage der künstlerischen Naturnachahmung hat im Mittelalter nur wenig theoretisches Interesse erregt; dafür um so mehr die Vorstellung, daß der Künstler, gleichsam als Figur des Schöpfers Gott, ein im eigenen Geiste lebendes Urbild verwirklicht.44 Das sind, wie man sieht, Gedanken neuplatonischenPlaton Ursprungs. Über die Frage, wie weit nun aber dies Urbild und das aus ihm hervorgehende Kunstwerk Figuren einer in Gott erfüllten Wirklichkeit und Wahrheit sind, habe ich aus den mir hier zur Verfügung stehenden Texten – die wichtigsten Werke der Spezialliteratur fehlen – nichts eigentlich Entscheidendes gefunden. Doch will ich einige Stellen anführen, die mir zufällig zur Hand sind und die etwas in der gedachten Richtung andeuten. L. SchradeSchrade, L. zitiert in einem Aufsatz über die Darstellung der Töne an den Kapitellen der Abteikirche zu Cluny (Dt. Vierteljahrsschr. 7, S. 264) eine Erklärung, die Remigius von AuxerreRemigius v. Auxerre für das Wort imitari gibt: scilicet persequi, quia veram musicam non potest humana musica imitari. Dem liegt doch wohl die Vorstellung zugrunde, daß es sich bei der Kunstübung um die Nachahmung oder doch die schattenhafte Figurierung einer wahren, und zwar ebenfalls sinnlichen Wirklichkeit (der Musik der himmlischen Chöre) handelt. DanteDante rühmt im Purgatorio die dort von Gott selbst geschaffenen Kunstwerke, welche Beispiele von Tugenden und Lastern darstellen, wegen ihrer vollkommen erfüllten sinnlichen Wahrheit, gegenüber der die menschliche Kunst und sogar die Natur verblassen (Purg. 10 und 12); sein Anruf an Apoll (Par. 1) enthält die Verse:

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