Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн

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Das Gesetz also ist ein und dasselbe für die Poesie wie für die bildenden Künste:

Das Materielle der Körperwelt ist nicht Gegenstand der künstlerischen Nachahmung, sondern Mittel.

Ihr Gegenstand ist geistiger Natur und einheitlich, mag sie sich nun des Mittels der Körperwelt bedienen oder anderer, die ihr zu Gebot stehen, seien es Handlungen oder Bewegungen oder Töne oder ganz frei erfundene Formen.

Alle Kunst hat die Aufgabe, seelische Vorgänge im weitesten Sinne darstellend hervorzubringen oder, wie die Alten sagten, sie nachzuahmen. Was das Leben erfüllt als sein wesentlichster Inhalt in allen seinen Vorgängen und Erscheinungen, das reproduziert die Kunst selbständig, sie stellt es dar, dem Leben folgend, diesen seinen wesentlichen Inhalt nachahmend mit den Mitteln, die sie jedes Mal aufzuwenden hat: ὕλῃ καὶ τρόποις μιμήσεως διαφέρουσιν, τέλος δ'ἅπασιν \̔εν ὑπόκειται.

So ist es denn auch ganz unberechtigt, obwohl es überall geschieht, des Aristoteles Theorie der Mimesis damit bekämpfen zu wollen, dass man sagt: Mag also die Poesie Handlungen, die Plastik Körper nachahmen, welche Naturobjekte liegen denn aber der Musik oder der Architektur zu Grunde? Damit meint man die Nachahmungstheorie kurzerhand beseitigt zu haben und an ihre Stelle tritt der unbestimmte Begriff des "Ideals in der Seele des Genies". Nein! alle Künste ahmen, jede auf ihre Weise, dasselbe nach: die Seelenvorgänge, von denen doch zuletzt alles uns Menschen fass- und darstellbare Leben ausgeht! Aber diese Einheit umfasst eine unendliche Mannigfaltigkeit, die es gilt nach ihren Hauptgattungen zu zerlegen und im Einzelnen genau zu bestimmen. So ergibt sich mit der präzisen Bestimmung des Nachahmungsobjektes zugleich auch die ebenso bestimmte Feststellung des dadurch zu erreichenden Zweckes, woraus dann weiter die dazu anzuwendenden Mittel und die Art und Weise ihrer Verwendung mit Sicherheit abgeleitet werden können. Einzig und allein auf diese Weise kann ein fester und zuverlässiger Maßstab für die Beurteilung ästhetischer Fragen gewonnen werden; das einzige Gebiet, auf welchem dieser Maßstab eine konsequent durchgeführte Anwendung gefunden hat, ist zugleich das einzige, für das wir ein in den Grundzügen völlig ausgearbeitetes Gesetzbuch besitzen, die Tragödie und ihre Gesetzgebung in der aristotelischen Poetik!

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