Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн

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Ebenso jedoch bedeutet Ethos diejenige Empfindungsweise oder Seelenhaltung, welche sich nach einer bestimmten Richtung hin, einem bestimmten Anlass gegenüber, temporär, aber nicht zufällig, sondern wieder der Anlage und Gewöhnung der Seele gemäß geltend macht. Aus dem gewohnheitsmäßigen Vorherrschen nicht nur einer einzelnen Empfindung, sondern ganzer koordinierter Gruppen, aus dem gleichzeitigen Zurücktreten anderer, geht eine stationäre allgemeine Seelenhaltung und -Stimmung hervor, welche latent, ihrer Möglichkeit nach, bei dem Individuum dauernd vorhanden ist, um dann bei jedem dazu gearteten Anlass zeitweilig in die Erscheinung zu treten. So sind Andacht, Frömmigkeit, Pietät (womit wir im Deutschen ja noch einen engeren Sinn verbinden) als Ethos zu bezeichnen, nicht als einfache Empfindungen, ebenso Frohsinn, Freudigkeit und ihr Gegenteil, Schwermut, Verzagtheit; ferner Übermut oder Besonnenheit, Zuversicht und Kleinmut, Zufriedenheit, Glück und Seligkeit oder Ungenügsamkeit, Reue und Verzweiflung, und so fort, wofür wir im Deutschen vorzugsweise den Ausdruck Stimmung gebrauchen.

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