Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн

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Aus den verschiedenartigen Kombinationen charakteristischer Eigenart des Empfindens und vorwaltender Stimmungen ergeben sich ferner Gefühlsweisen und -Richtungen, wie sie ganze Epochen, sie vor allen andern kennzeichnend, beherrschen. Auch diese fallen unter den Begriff des Ethos: so das Romantische, das Naive und Sentimentale, Idyllische und Heroische, Satire und Ironie, künstlerischer oder religiöser Enthusiasmus, Fanatismus, Askese und wieder auf der andern Seite Skepsis und Rationalismus und vieles ähnliche, sofern nämlich alles dieses außer in dem Verstande auch im Gemüte seinen Sitz hat und als Gesinnung sich äußert.

Die Menge dieser gesamten unter den Begriff des Ethos zu rechnenden Gemütsvorgänge mit allen ihren verschiedenen Graden, Färbungen, Ausartungen nach der einen und der andern Seite hin, die unendliche Zahl der hier möglichen und vorhandenen Erscheinungsformen, hat bei weitem nicht die entsprechende Anzahl von Bezeichnungen in den Sprachen gefunden, vieles ist "anonym" geblieben, unnennbar oder doch unbenannt, obwohl die Sprachen, je nach dem verschiedenen Genius der Nationen, auf diesem Gebiete sich ergänzen. Um nur ein Beispiel hervorzuheben: man denke an die große Mannigfaltigkeit der Gestaltungen, welche das eine Ethos der Andacht anzunehmen fähig ist, wie verschieden es bei Juden, Griechen und Römern erscheint und bezeichnet wird, wie wechselvoll in seiner Entwicklung, Entartung und Wiedererweckung bei den modernen Völkern!

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