Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн

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Die Kunst aber, welche ganz und gar mit ihren Mitteln auf die nachahmende Erweckung des Ethos gewiesen ist, und welche hier ihre ganze Stärke entfaltet, ist die Architektur.

"Und in Poseidons Fichtenhain tritt er mit frommem Schauder ein": es ist ein Ethos, welches hier bezeichnet wird, wie es ein Ethos ist, was den Germanen in seinen Wäldern überkommt, ein anderes im Eichenwald, im Buchenhain und in der Kiefernheide, wie es wieder ein anderes ist unter Palmen oder Zedern des Libanon! Was die Kunst so im Leben findet, macht sie nun ihrem plan- und gesetzmäßigen Verfahren dienstbar, und wieder wirkt hier jener unmittelbare Zusammenhang der Formen und ihrer Komposition mit dem Bewegungsleben der Seele. In Hainen und Wäldern verehrte der Grieche wie der Germane seine Götter, aber das Ethos frommer Scheu und andachtsvollen Schauders ist ein anderes bei diesem wie bei jenem; und als sie dem, was sie empfanden, in bewussten Schöpfungen Ausdruck gaben, erzeugte die verschieden beschaffene ethische Haltung sehr verschiedene Baustile. Was aber ist an diesen das innerlich Verschiedene, also künstlerisch Wesentliche, wenn nicht der verschiedene Bewegungsvorgang, den sie beide in der Seele erzeugen? Was ahmen sie nach als diesen? Und gilt nicht dasselbe wie von den übrigen kirchlichen Baustilen so auch von der gesamten weltlichen Architektur, sofern sie nur künstlerisch frei behandelt wird, also von Monumenten, Palästen, Burgen und Schlössern, ja von Zimmereinrichtungen, Möbeln und Geräten? Welche bunte Menge ethischer Stimmungen kann sich hier verkörpern, von der erhabenen Majestät und ihren Ausartungen, dem Sinn für Zeremoniell und Etikette, bis zur heiteren Prachtliebe oder dem Behagen an Ordnung und Wohlanständigkeit, oder von abenteuerlichem Trotz, stolzer Kühnheit und von romantischer Phantastik bis zu idyllischem Genügen und maßvoller Freude an harmonischem Dasein.

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