Читать книгу Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands онлайн

35 страница из 96

Außerdem blieben zwei große Sagenstoffe, die ein Jahrtausend überdauert haben. Der heidnische Siegfried, der mit seinem Schwert Balmung den goldhütenden Drachen Fafnir erschlägt, die Walküre Brunhild aus der Flammenburg erlöst und durch Verrat umkommt, erscheint demnächst von neuem als Christ im ersten Teile des Nibelungenliedes und macht später als der hörnerne Siegfried durch die Volksbücher die Runde, um uns endlich in Fouqués Sigurd dem Schlangentöter noch einmal zu begrüßen. Und dieselbe poetische Lebenskraft hat der berühmte Fuchs Reinhart bewährt, von seiner ersten Ausfahrt im fünften Jahrhundert, als Reginhart mit den Franken über den Rhein, bis zu Goethes Hexametern vom Reineke Fuchs.

Der durch das Christentum erfolgte Umschwung aber übte einen doppelten Einfluß auf die Poesie aus. Während nämlich, wie wir schon oben angedeutet, mit dem erlöschenden Glauben an die heidnische Mythologie auch die in diesem Glauben wurzelnden Heldenlieder immer mehr verklangen, suchte man zugleich dem wachsenden christlichen Volksbewußtsein poetischen Ausdruck zu geben und die alte weltliche Poesie durch eine geistliche zu ersetzen. So entstand im 9. Jahrhundert das sogenannte Wessobrunner Gebet, das nur noch im Fragment vorhandene Gedicht Muspilli und die unter dem Namen Heliand (Heiland) bekannte altsächsiche Evangelienharmonie. Aber alle diese Gedichte, wiewohl durchaus christlichen Inhalts, können in ihrer ganzen Physiognomie die heidnische Abkunft noch keineswegs verleugnen. Es ist noch immer der Klang der alten Heldenlieder, aus denen sie hervorgegangen, die Form ist noch immer die alliterierende, ja Muspilli sogar noch die heidnische Benennung des Weltendes, von dem dieses Fragment handelt. Im Heliand aber erscheint Christus noch ganz wie ein Heldenfürst der alten Epen, der mit seinem Gefolge eine beglückende Volksfahrt hält und in den Versammlungen der Völkerstämme mit seinen Getreuen tagt. – Näher schon und an den äußersten Grenzen der alten und neueren Welt steht dagegen die oberdeutsche Evangelienharmonie des Benediktinermönches Otfried aus den dreißiger Jahren des neunten Jahrhunderts, indem hier bereits das volksmäßig Epische mehr in den Hintergrund und an die Stelle der Alliteration zum erstenmal der Reim getreten ist.

Правообладателям