Читать книгу Die Tyrannei des Geldes. Henri-Frédéric Amiel über Besitz und Bürgertum онлайн

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Vor allem aber machten sich die Merksprüche selbständig, die Kernsätze und Aphorismen. Sie erschienen auf den Rückseiten von Kalenderblättern und in schmucken Almanachen – grosse Wahrheiten in kleiner Form, viele davon mit mahnendem, warnendem Unterton: «Das Schicksal hat zwei Möglichkeiten, uns zu zermalmen: indem es sich unseren Wünschen versagt – oder sie erfüllt.» «Der Mensch, der alles vollkommen klar sehen will, bevor er sich entscheidet, fasst nie einen Entschluss.» Die Hausfrau, die am Morgen das perforierte Kalenderblatt abtrennte, las vielleicht «Ein Irrtum ist umso gefährlicher, je mehr Anteile an Wahrheit er enthält», sinnierte womöglich über einem Ausspruch wie «Jede Landschaft ist ein Zustand der Seele – Un paysage quelconque est un état de l’âme». Vieles, was uns heute als redensartliche Formel erscheint, stammt aus dem Journal intime, beispielsweise «Man ist so alt, wie man sich fühlt». Ebenso das vielzitierte «Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg», das wir eher einem amerikanischen Manager-Handbuch zuordnen würden (Nothing succeeds like success). Amiel hielt die Einsicht im März 1868 fest, bezeichnenderweise an einem Tag, an dem er sich schlaff und unwohl fühlte: Rien ne réussit comme le succès. Von Amiel stammt auch das von Zivilisationsskeptikern vielfach übernommene und abgewandelte Wort «Tausend Dinge rücken vor, 999 machen einen Schritt zurück. Das nennt man Fortschritt». Selbstverständlich sind seine Aphorismen heute auch auf dem Internet abrufbar, unter Sparten wie Best Quotes Amiel oder Amiel Quotes and Sayings. Aus dem Selbstzweifler, dem schüchtern-charmanten Professor ist eine Art Guru geworden, ein Mann des knappen und präzisen Wortes.

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